Rotierende Kostenspirale
Bundestag debattiert über Berliner Flughafen und Bahnhofsprojekt Stuttgart 21
Der erste Artikel über »Stuttgart 21« erschien im »neuen deutschland« am 11. November 1995, dem süddeutschen Narrentag. Von fünf Milliarden D-Mark war die Rede, doch sei die Finanzierung etwas fragwürdig.
Seither ist, mit Ausnahme von 2000 und 2003, kein Jahr ohne »Stuttgart 21«-Texte vergangen. Und auch die Kostenangaben sind nicht geringer geworden: Die letzten Meldungen lauteten auf 6,8 Milliarden Euro, was mit einiger Sicherheit noch nicht das Ende vom Lied ist.
Dabei hatte Bahn-Technikvorstand Volker Kefer vor zwei Jahren bei einer Anhörung im Bundestag Stein und Bein geschworen, dass die damals angesetzten 4,1 Milliarden Euro reichen würden. Von der LINKE-Verkehrsexpertin Sabine Leidig befragt, erzählte Kefer seinerzeit Geschichten von »neutralen Gutachtern«. Seltsam genug: Noch 2009 war man von fünf Milliarden Euro ausgegangen - wonach das Projekt, für das die Wirtschaftlichkeitsgrenze bei 4,5 Millionen angegeben wurde, nicht hätte gebaut werden dürfen. Man hatte den Bahnhof also mutwillig billiggerechnet.
Vielleicht war die Zeit zwischen dieser Anhörung und den jetzigen Kostenmeldungen zu kurz - oder der Aufschlag, der nun den Stuttgarter Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) öffentlich am Projekt zweifeln lässt, zu kräftig. Jedenfalls fühlten sich etliche Bundestagsabgeordnete so sehr verschaukelt, dass das Thema am Freitag erneut im Plenum landete - wenn auch im Paket mit dem Berlin-Brandenburger Flughafen, der gleichfalls Milliarden Mehrkosten verursacht hat.
Entsprechend verlief dann auch die Debatte: Während Schwarz und Gelb auf den Flughafen schimpften, nahm sich die Opposition den Bahnhof vor. Sabine Leidig sprach diesbezüglich von einer »planmäßigen Kostenlüge« - und forderte nicht nur die Ablösung von Bahnchef Rüdiger Grube, sondern auch ernsthafte Ausstiegsbemühungen der Grün-Roten Landesregierung. Dafür gebe es jetzt eine Handhabe, denn die für das Projekt ausgegangene Volksabstimmung habe 4,1 zugrunde gelegt.
Darauf ließ sich Grünen-Redner Sven-Christian Kindler nicht ein. Er geißelte recht allgemein die »Prestigepolitik« des abwesenden Verkehrsministers Peter Ramsauer (CSU). Für die Koalition nahmen mehrere Redner im Gegenzug den Flughafen ins Visier - und forderten den Rückzug des Berliner Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD) aus den Flughafengremien. Die SPD-Redner erinnerten daran, dass auch der Bund am Flughafen beteiligt ist und das »Regierungsterminal« besonders große Probleme verursacht - um sich koalitionsseitig den Einwand abzuholen, der einstige SPD-Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee habe den Stuttgarter Bahnhof doch durchgeboxt.
Beide Einwände saßen offensichtlich, sodass die letzte Bundestagsdebatte dieses Jahres trotz leerer Sitzreihen einiges an Feuer hatte. Nur zu einem Problem gab es keine sinnvollen Beiträge: wie sich im Allgemeinen solche wenig überraschenden »Kostenexplosionen« verhindern lassen könnten.
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