"Wider die marktkonforme Demokratie"
Der Schriftsteller Ingo Schulze erhät den Bertolt-Brecht-Preis 2013
Viele Gründe gibt es, dass einer zum Bertolt-Brecht-Preisträger werden darf. Vielleicht, weil einer dunkel und anarchistisch ist wie der frühe b.b., ein Dichter der tanzbaren Gedichte, einer ohne Antworten, aber auch einer ohne Fragen - weil ganz im Einverständnis mit der ohnmächtigen Grobheit des sehnenden Menschen. Radikal im Nichtstun. Kompromisslos im Treibstrom des Begehrens. Oder einer erhält den Preis für das Gegenteil, weil er also so ist wie der aus dem wilden Baal steigende politische Brecht: der kalt denkende Vernünftige. Der das Gewohnte kenntlich machte in der Verfremdung. Der ständig, je nach Maßgaben der notwendigen List, die Rollen wechselte. Der vor McCarthy abstritt, Genosse zu sein, aber für den Sieg des Kommunismus stritt. Der DDR-Bürger mit Fremdpass. Der sich also nicht festlegen ließ, obwohl er der Entschiedenheit das Wort führte. Der Prophet auch, der beizeiten unsere Welt dichtete - indem er etwa die Exilanten beschrieb, als seien es die Bootsflüchtlinge vor Europas Küsten: »Ihr seid wie Leute, die an den Meeresstrand kommen/ Wollen hinüber und haben nur einen Löffel/ Das Meer auszuschöpfen«. Klartext in unschlagbarer Poesie.
Den Brecht-Preis 2013 von Augsburg, der Geburtsstadt des Dichters, erhält Ingo Schulze (der am vergangenen Samstag 50 wurde). Schulze (»33 Augenblicke des Glücks«, »Simple Storys«, »Neue Leben«) - ein Polemiker »Wieder die marktkonforme Demokratie« und »Gegen die Ausplünderung der Gesellschaft« - sei, so die Jury, der »hartnäckigste Chronist der deutschen Wiedervereinigung«. Ein Porträtist der Wendegewinnler und Wendeopfer, derer, die beides zugleich sind. Ein Neudeutschlandmaler. »Das Chaos ist aufgebraucht. Es war die beste Zeit.« Einer der schönsten Sätze Brechts. Er könnte über dem Werk Ingo Schulzes stehen.
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