Moonwalk im Ruhrpott

»Breathing Earth - Susumu Shingus Traum« von Thomas Riedelsheimer

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Unter den deutschen Dokumentarfilmern hat Thomas Riedelsheimer ein herausragendes Alleinstellungsmerkmal: Er kann aus hochglanzalbumschönen Bildern einen inhaltlichen Mehrwert schöpfen, der sich im Leben des Betrachters endlos fortsetzt. Besonders nachdrücklich gelingt das Riedelsheimer jedes Mal dann, wenn seine Filme von den Werken bildender Künstler handeln, die ihre Installationen inmitten der Natur platzieren. »Rivers and Tides - Andy Goldsworthy Working with Time« über den britischen Vertreter der Land Art und seine flüchtigen Naturskulpturen war so ein Film, und der räumte denn auch prompt alles ab an Film- und Kamerapreisen, was so zu kriegen war.

Nach dem auch vielfach prämierten Porträt einer ertaubten Musikerin (»Touch the Sound - A Sound Journey with Evelyn Glennie«) und einem Film über krebskranke Kinder (»Seelenvögel«) kehrt Riedelsheimer mit »Breathing Earth - Susumu Shingus Traum« zum Thema Kunst und Natur zurück. Und präsentiert einen außerordentlich beeindruckenden Mann. Susumu Shingu, 75, Japaner, konstruiert traumschöne bewegliche Skulpturen, die der Wind betreibt. Mit seinen kinetischen Kunstwerken macht er ein überlebenswichtiges Element sinnlich erfahrbar, das man gern als gegeben hinnimmt. Weil ihm aber das bloße Sichtbarmachen von Luftströmen in einer von Umweltkatastrophen und menschlicher Rücksichtslosigkeit zusehends stärker bedrohten Welt irgendwann nicht mehr reichte, hat Susumu Shingu einen Plan: Ein Dorf will er bauen, dessen Energiebedarf sich aus Wind speist, eine Begegnungsstätte von Menschen, die sich über ihre Position zu den endlichen Ressourcen der Erde austauschen und neu verorten möchten.

Als Standort für das Projekt bieten sich diverse Gemeinden in Europa an. Die politischen, landschaftlichen, baulichen und aerodynamischen Verhältnisse müssen stimmen, es müssen Geldgeber gefunden und die Pläne den örtlichen Entscheidungsträgern schmackhaft gemacht werden. Es ist eine Abfolge von Szenen des Missverstehens, die Riedelsheimer auf dieser Erkundungsreise mit dem Künstler einfängt. In Süditalien empfängt sie ein enthusiastischer Mitstreiter - Susumu Shingu hat in Italien studiert, spricht die Sprache und ist mit Renzo Piano befreundet - man begeht die Örtlichkeiten, der Künstler ist angetan von ihren Möglichkeiten. Dann folgt das Treffen mit der Stadt. Eine selbstentwickelte, geräuscharme neue Generation von Windrädern solle da zum Einsatz kommen, montiert auf erdhüttenartige Bauten, und den Ort der Begegnung mit Elektrizität versorgen? Soso. Ein Restaurant wolle man aufmachen? Nein, lieber nicht, darunter könnten die Gastronomen im Ort leiden. Und Parkplätze, eine Straße, Infrastruktur? Ganz sicher nicht.

Im Ruhrgebiet wiederholt sich die Szene. Man steht auf Abraumhalden, der Blick des Künstlerpaars schweift in die Weite der Ebene, sichtlich fasziniert von so viel menschengemachter Mondlandschaft. Die Frau des Künstlers beginnt kichernd einen Moonwalk, den Gang der Astronauten in der Schwerelosigkeit. Der Künstler fällt mit kindlichem Vergnügen ein, die örtlichen Entscheidungsträger, die Vertreter von Stadt, Bergwerksgesellschaft und Ruhr Kulturhauptstadt Europas, wissen nicht recht, wohin mit sich. Dann fällt einem von ihnen ein, was eigentlich wichtig ist in dieser Gegend: Der weiße Fleck dahinten, das sei die Arena, wo Schalke spiele. Fußball, wissen Sie? Das mit dem Naturdorf, das wird hier dann wohl doch nichts werden. Auch nicht in Schottland, vielleicht schließlich auf einer privaten Insel vor Istanbul. Dann aber passiert Fukushima, und Susumu Shingu entwirft erst mal eine Solidaritätsbeflaggung mit Kinderzeichnungen aus aller Welt für die traumatisierten heimischen Gemeinden.

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