Als Mieter bist du nur Manövriermasse

Energiesanierung ist nicht immer ökologisch, noch seltener sozial. In Berlin-Neukölln wehrt sich eine Hausgemeinschaft seit Jahren dagegen

  • Marlene Göring
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist gemütlich in der kleinen Berlin-Neuköllner Einraumwohnung. Abgezogene Dielen, saniertes Bad. Nur etwas kalt ist es. Eigentlich ist das hier eine ganz normale Bleibe in einer Häuserzeile. Trotzdem zahlt Steffi seit zwei Jahren 21 Prozent mehr Miete als ihre Bekannten im Nachbarhaus. »Unser Vermieter hat damals die Außenwand gedämmt«, erzählt die 28-Jährige. Geringere Heizkosten hat sie dadurch nicht, so viel kann sie heute sagen. Sich zu wehren kam den Bewohnern nicht in den Sinn, umzuziehen sowieso nicht. »Die Miete war vorher sehr niedrig«, sagt Steffi. »Etwas Vergleichbares findet man hier in der Gegend nur noch schwer.«

Im ebenfalls in Neukölln gelegenen Komplex Fuldastraße 31/32 - Weichselplatz 8/9 bietet sich ein anderes Bild: Der Fußboden ist nackt, Kabel hängen von der Decke, Maschinen verstellen den Flur. Es erinnert ein bisschen an ein Schlachtfeld. Die hiesigen Mieter befinden sich auch seit über zwei Jahren im Kampf mit der Grundstücksgemeinschaft Weichselplatz, die 2010 die Häuser kaufte. Damals erging umgehend die Aufforderung an die Mietparteien, eine Duldungserklärung für die energetische Rundumsanierung zu unterschreiben - und zwar innerhalb von fünf Tagen. »Von Anfang an wurde Druck aufgebaut, mit Klage gedroht«, erzählt Bewohner Christian*.

36 Parteien gibt es in dem Haus, ein Mieter wohnt schon seit 42 Jahren dort. Keiner müsse gehen, wurde anfangs versprochen. Doch hätten sich die Bewohner nicht gleich zum gemeinsamen Widerstand entschlossen, wären viele von ihnen heute nicht mehr da. Bis zu 89 Prozent mehr sollten sie laut Sanierungsplan zahlen, der neue Fenster, Außendämmung, Abwasser- und Heizanlagen umfasst - in den Augen der Mieter unsinnig und unfair. Viele von ihnen hatten mit Eigeninvestitionen die Wohnungen auf einen ortsüblichen Stand gebracht: Dielen abgezogen, Badewannen installiert, gefliest. Wo vorher funktionierende Doppelkastenfenster waren, versinken durch die Außendämmung nun neue Isolierfenster 20 Zentimeter tief in der Mauer. »Schießscharten« nennt sie Christian. Besonders hart trifft es die, die selbst eine Gasetagenheizung eingebaut hatten und nun an Fernwärme angeschlossen werden sollen. Die ist teurer, 65 Euro im Monat, berichtet Sven, dessen Prozess schon abgeschlossen ist. Auf Anraten seines Anwalts hat er sich zu einem Vergleich entschlossen. Den Nutzen der neuen Heizform bestreitet er aber nach wie vor - und ist damit nicht allein.

Auch Ingenieure sehen die von der Bundesregierung als »zweite Säule der Energiewende« propagierte energetische Gebäudesanierung nicht unproblematisch. Mehr Technik bedeutet mehr Produktions- und Wartungsaufwand. Dämmstoffe werden aus Erdöl hergestellt und sind schlecht recycelbar - da wird die Entsorgung schwierig, warnen Experten. Durch die veränderte Baustruktur drohen außerdem Schimmel und Algenbefall. Dagegen werden Pestizide im Putz verarbeitet, die sich langfristig auswaschen - und so in den Wasserkreislauf gelangen.

Im Grunde geht es am Neuköllner Weichselplatz und deutschlandweit um die Frage: Was heißt eigentlich energetische Sanierung? »Hier werden ökologische und soziale Aspekte gegeneinander ausgespielt«, beschwert sich Christian. »Der ökologische Fußabdruck der Oma in ihrer unsanierten Altbauwohnung ist doch viel kleiner als der der Lohas«, schaltet sich Nachbarin Lisa* ein. »Lohas« steht für »Lifestyle of health and sustainability« - einen nachhaltigen Lebensstil, dem sich auch die neuen Hauseigentümer am Weichselplatz gern zuordnen. »Das ist das Schlimmste: Die haben das Bewusstsein, die könnten es anders machen«, meint Christian. Doch stattdessen legten sie schlichtweg Kosten auf die Mieter um. Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund bestätigt: »Auch bei der Gebäudesanierung soll der kleine Verbraucher die Energiewende tragen«, sagt er. Dabei heiße teurer nicht immer besser.

»Als Mieter bist du nur Manövriermasse«, sagt Christian. »Wenn du nicht auf deinen Rechten bestehst und dich nicht austauschst, hast du keine Chance.« Er und die anderen handeln nicht nur im eigenen Interesse. Sie engagieren sich im Kiez und beraten Betroffene. Aus der anfänglichen Notgemeinschaft ist eine von Freunden geworden. Ihre Forderung an die Vermieter ist einfach: »Wir würden nicht Widerstand leisten, wenn sie uns beteiligen würden«, ist Lisa überzeugt.

*Namen v. d. Red. geändert

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