Familie Saubermann in Not
»The Impossible« von Juan Antonio Bayona
Die All-American Family bleibt zweifelsohne die beste Figurenkonstellation, um im Kino Mitgefühl zu erzeugen: Mama (Ärztin), Papa (Chef) und drei kleine, putzige Racker. Damit ist die ganze Zielgruppe, die man vor die Leinwand locken möchte, abgedeckt. Jetzt muss nur noch etwas Aufregendes passieren.
Was wir aus der Geschichte des US-amerikanischen Katastrophenfilms wissen: Die Gefahren, denen unsere possierliche Frühstücksmargarinereklamefamilie aus dem gehobenen Mittelstand gleich schlagartig ausgesetzt sein wird, die sie durchleben und selbstverständlich nach allerlei vorhersehbaren Irrungen und Wirrungen wie durch ein Wunder überstehen wird, wechseln sich über die Kinojahrzehnte ab. Man kennt das ja: Flugzeugabsturz, extraterrestrischer Angriff, Atomkrieg. Besonders gut machen sich sogenannte Naturkatastrophen: Erdbeben, Vulkanausbrüche, Wirbelstürme, FDP-Parteitage. Heuer ist es eine Flutwelle, genauer: ein Tsunami. Weil aber der gewaltsame Tod einer großen Zahl Menschen nur schwer darstellbar ist und sich dessen realistische Abbildung für den großen Popcornkinoerfolg auch als eher ungeeignet erwiesen hat, muss als Hauptobjekt der Kamera unsere die Katastrophe überlebende Idealfamilie herhalten: Sie ist tapfer. Sie hat echte Gefühle. Sie hat Hoffnung. Ihre Mitglieder entsprechen dem westlichen Schönheitsideal. Sie gibt uns ein Beispiel für Liebe, Aufrichtigkeit, Unbeirrbarkeit und Durchhaltewillen.
Am Anfang herrscht eitel Sonnenschein: Mama (Naomi Watts), Papa (Ewan MacGregor) und die Kleinen verbringen ihren Weihnachtsurlaub auf einer südostasiatischen Trauminsel. Leises Gläserklirren, sanftes Meeresrauschen, lachende Gesichter. In den dunkelblauen Nachthimmel steigen Lampions auf, denen man versonnen gemeinsam nachsieht, während man sich gegenseitig in den Armen hält. So schön kann das Fest der Liebe sein, sieht man einmal vom Elend in den Armutsbaracken der Einheimischen ab, die ganz in der Nähe des »Club-Med«-Touristenreservats sein müssen, aber logischerweise in diesem Film nicht zu sehen sind. Was soll’s.
Weiter in der Filmhandlung: Familienentspannung am Swimming-Pool, Mama döst in der Sonne, Papa tollt mit den Buben im Planschbecken. Alles könnte perfekt sein. Wenn da nicht die tückische und unberechenbare Natur wäre.
Ein gigantischer Tsunami ist im Begriff, die kleinen schicken Strandbungalows inklusive der in ihnen lebenden Menschlein in Sekundenschnelle unter sich zu begraben. Und er gibt einen Scheiß darauf, ob diese dabei ihr Leben lassen müssen, denn ein Tsunami ist stumpfsinnige Natur, die wütet ohne Sinn und Zweck.
Zack, da wird mit einem großen Wumms der Idylle auch schon der Garaus gemacht: Die Leinwand wird auf einen Schlag schwarz, als habe man dem Kino den Strom abgedreht. Die Tonspur gibt nur dumpfes Rauschen und erstickte Gurgelgeräusche von sich. So ist er, der Tsunami: Immer macht er alles kaputt. Jetzt wird der Film interessant. Jetzt wendet er sich endlich Problemen zu, die größer sind als ein Sonnenbrand. Die Schwärze weicht Bildern der Gewalt und Zerstörung und denkwürdige Dialoge entfalten sich. Kind: »Mamma, ich habe Angst.« Mutter: »Ich habe auch Angst.«
Familie Saubermann ist auseinandergerissen und in eine vorzivilisatorische Welt geschleudert worden. Man stapft durch die unwirtliche Landschaft und sucht einander, doch alles, was man findet, ist eine Dose Cola, die man trinkt. Schmutzige Menschenleiber waten durch eine blutige Matschbrühe. Da bleiben schick fotografierte Schnittwunden, Leichensäcke und Filmtränen freilich nicht aus.
Es gibt aber nicht nur Blut, Schweiß und Tränen, sondern auch zwei eherne Drehbuchgesetze, die nie aus der Mode kommen: 1. Die Liebe ist eine Himmelsmacht. 2. Unsere Rama-Familienmitglieder müssen einander am Ende zu schmierigen Geigenklängen schluchzend in den Arm nehmen. Wo die Action zum soundsovielten Mal ihr ebenso liebevolles wie eisern durchstandardisiertes Zerstörungswerk verrichtet und die Kameras es malerisch ins Bild setzen, darf auch das soundsovielte Rührstück über eine gelingende Familienzusammenführung nicht fehlen.
Mit dieser bewährten und fein ausbalancierten Mixtur aus Katastrophenfilm und Kitschmärchen hat man selten falsch gelegen, warum also daran etwas ändern? Zumindest haben wir am Ende der Kinovorstellung etwas gelernt: Eine Dose Cola kann Leben retten.
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