Studiengebühren in Bayern vor dem Aus
Breites Bündnis von Opposition und Gewerkschaft bringt Erfolg für Volksbegehren
Es ist kurz nach 12 Uhr mittags, als in der Schwabinger Kneipe »Vereinsheim« der Jubel losbricht. »Das ist das erfolgreichste Volksbegehren seit 1995«, sagt Michael Piazolo von den Freien Wählern, und »das ist für uns alle ein großer Erfolg«. Zuvor hatte das Statistische Landesamt die Wahlbeteiligung zum Volksbegehren »Nein zu Studiengebühren« mit 14,4 Prozent angegeben. Rund 1,35 Millionen Bürger in Bayern hatten sich damit gegen Studiengebühren ausgesprochen, deutlich mehr als die notwendigen 940 000 Stimmen. Damit ist der Weg frei für die Abschaffung der Studiengebühren im Freistaat - entweder durch den Landtag oder durch einen Volksentscheid.
Es war spannend gewesen in den letzten Tagen der 14-tägigen Einschreibefrist für das Volksbegehren. Vor einer Woche noch hatten sich lediglich um die vier Prozent der Wähler in die Listen eingetragen. Der Endspurt kam in den vergangenen drei Tagen. Am Münchner Marienplatz konnte man lange Warteschlangen beobachten, die sich trotz Wind und Regen vor dem Rathaus gebildet hatten. Dieser Ansturm kurz vor Ende der Eintragungsfrist brachte dem Volksbegehren schließlich den Durchbruch.
»Dieser gestrige Tag war der Hammer«, sagt auch Natascha Kohnen, Generalsekretärin der bayerischen SPD. Sie ist eine der acht Vertreterinnen des Bündnisses gegen die Studiengebühren. Das wurde in Gang gebracht von den Freien Wählern, mit dabei neben der SPD sind auch die Grünen, die Linkspartei, die Piratenpartei, die ÖDP, der DGB Bayern, die IG Metall und diverse andere Organisationen, darunter Studierenden-, Schüler- und Lehrerverbände. Damit hat die Opposition in Bayern ein breites Bündnis auf die Beine gestellt und so ein glänzendes Ergebnis eingefahren. Die CSU, schon sehr gebeutelt durch das Anti-Raucher-Volksbegehren, hat bei dieser Aktionen der direkten Demokratie erneut eine Niederlage erlitten.
Mit 16,8 Prozent oder rund 215 000 Stimmen waren die Gegner der Studiengebühren in Mittelfranken am aktivsten. In Oberbayern gingen »nur« 13,2 Prozent oder 418 000 Wähler zu den Eintragungsstellen. Mit 12,7 Prozent lag die Beteiligung in Niederbayern am niedrigsten. Das fränkische Erlangen ist mit einer Beteiligung von 22,3 Prozent der Wahlberechtigten eine Hochburg der Gebühren-Gegner, in München beteiligten sich 12,1 Prozent der Bürger, was freilich 109 346 Eintragungen entspricht.
Franziska Traube, Sprecherin der Studierendenvertretungen, forderte auf der gestrigen Pressekonferenz eine Abschaffung der Studiengebühren bereits zum kommenden Wintersemester und ein klares Statement der bayerischen Staatsregierung, die wegfallenden Finanzmittel durch den Staatshaushalt auszugleichen. SPD-Generalsekretärin Kohnen mahnte ebenso wie ein Gewerkschaftsvertreter an, auch die berufliche Bildung müsse künftig in Bayern unentgeltlich sein, dies etwa bei Meisterschulen. Laura Schimmel, vom Landesvorstand der bayerischen Linkspartei, lobte die »große solidarische Aktion« der Bündnispartner und forderte die Solidarität der Studierenden auch bei Themen wie Altersarmut und Rentenkürzungen ein.
Wie hoch die Beteiligung der Studierenden insgesamt war, ist unklar. Nach den Erfahrungen von Simon Reif von der Münchner Initiative »Studieren ohne Studiengebühren« gab es durchaus unterschiedliche Meinungen in der Studentenschaft. Bei den Betriebs- und Volkswirten hätten manche befürchtet, dass sich die Studienbedingungen verschlechtern würden. Der 24-jährige Student rechnet nun mit einem Volksentscheid.
Klar ist, das Ergebnis des Volksbegehrens ist eine deutliche Schlappe für die bayerischen Regierungsparteien CSU und FDP. Zwar hat CSU-Chef Horst Seehofer längst schon die Wende vollzogen und hätte die von seiner Partei eingeführten Studiengebühren am liebsten längst getilgt, doch bedeutet dies den Bruch mit dem Koalitionspartner FDP, der streng auf Linie bleibt. Nach dem Erfolg des Volksbegehrens muss sich nun der bayerische Landtag mit dem Thema befassen und entweder zustimmen oder ablehnen. Für Initiator Michael Piazolo wäre es zwar wünschenswert, wenn der Landtag zustimmen würde, er glaubt aber nicht wirklich daran: »Wir vertrauen nicht auf die Regierung, sondern dem Volk.« Lehnt der Landtag ab, könnte es schon im Mai zum zweiten Schritt der direkten Demokratie kommen, dem Volksentscheid. Dessen Ergebnis wird durch einfache Mehrheit herbeigeführt und ist dann bindend.
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