»Krause Logik«
Josef Kraus ist Vorsitzender des Deutschen Lehrerverbandes. Der Verbandsname ist allerdings irreführend. Josef Kraus müsste vielmehr als Cheflobbyist der deutschen Gymnasien bezeichnet werden. Als solcher hat er nach der Ankündigung von Rot-Grün in Niedersachsen das Sitzenbleiben, also die zwangsweise Wiederholung einer Klasse aufgrund schlechter Zensuren, abzuschaffen, mit den Worten kommentiert: »Da kann man gleich eine Abitur-Vollkasko-Garantie anbieten.«
Die Bemerkung dokumentiert eines der Grundprobleme der deutschen Bildungspolitik. Ganz egal, um welches Thema es geht, es wird von meinungsmächtigen, konservativen Verbandsvertretern mit dem Fokus auf das Gymnasium betrachtet. Von den negativen Folgen des Sitzenbleibens wie mangelndem Selbstwertgefühl für die Schüler und hohen Kosten für den Steuerzahler sind aber nicht nur die Gymnasien betroffen. Das Selektionsinstrument Sitzenbleiben trifft Hauptschüler besonders hart. Wer aufs Gymnasium geht, dem droht nach dem zwangsweisen Wiederholen allenfalls die Relegation auf die Realschule (wahlweise wie in Hamburg oder Berlin auf die Stadtteilschule bzw. die Sekundarschule). Dort erreichen die meisten von ihnen wenigstens noch einen Schulabschluss. Hauptschüler aber sitzen nach dem Sitzenbleiben im wahrsten Sinne die verbleibende Schulzeit nur noch ab und verlassen nach zehn Schuljahren, wenn die Schulpflicht endet, die Schule ohne Abschluss.
Es zeugt von einer ganz besonderen »Krausen Logik«, von Schulabschlüssen zu sprechen, die durch das Ende des Sitzenbleibens zu »ungedeckten Schecks« würden. Deutlicher konnte Josef Kraus die herrschende Arroganz des Bildungsbürgertums gegenüber den »niederen Bildungsständen« nicht ausdrücken.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.