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Realismus gefragt

Nur die wenigsten psychisch Kranken sind gefährlich und gewalttätig

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
In einer repräsentativen Umfrage halten 22 der Befragten psychisch kranke Patienten für »gefährlich«, fast die Hälfte glaubt, sie seien »unbeherrscht«.

»Knast oder Klapse?« »Im Zweifel in die Psychiatrie« - zugespitzte, einseitige und effektheischende Schlagzeilen tragen auch dazu bei, dass Menschen aufgrund spektakulärer Einzelfälle wie dem des Massenmörders Breivik auf alle psychisch Kranken schließen. Die Realität sieht jedoch anders aus.

In den USA ergab 2005 eine Befragung von Menschen mit einer schweren psychischen Störung, dass ein Viertel Opfer einer Gewalttat wurde - das ist elf mal häufiger als im Allgemeinen. Unter den an Schizophrenie Erkrankten, so internationale Übersichtsstudien, wurden nicht mehr als 0,3 Prozent gegen Mitmenschen gewalttätig.

Bundesweit befinden sich 9600 psychisch kranke Straftäter in forensischen Einrichtungen. Sie werden in den Maßregelvollzug geschickt, wenn die psychische Erkrankung direkte Ursache für die Straftat ist. Ziel des Aufenthaltes dort sind sowohl die Besserung als auch die Sicherung von psychisch kranken Rechtsbrechern. Die Tagespflegesätze liegen, unterschiedlich in den Bundesländern, im Durchschnitt bei 250 Euro. 80 Prozent davon werden für Personalkosten aufgewandt. In etwa kommt eine Vollzeitpflegestelle auf einen Patienten. Bei den Kosten für Ärzte und andere Therapeuten ist im besten Fall ein Verhältnis von zehn zu eins möglich, ein Mediziner ist verantwortlich für zehn oder mehr Patienten.

Die Therapien sind ähnlich weit gefasst wie in der Psychiatrie sonst: Sie reichen von einer differenzierten Pharmakotherapie - bei Einverständnis des Patienten - bis zur Psychotherapie und zur Aufklärung über die Krankheit (Psychoedukation). Hinzu kommen deliktspezifische Therapien, etwa für Sexualstraftäter oder ein Anti-Aggressionstraining.

Verläuft die Behandlung erfolgreich, sind verschiedene Lockerungsschritte möglich. Sie reichen von begleiteten Ausgängen bis zum Urlaub von mehreren Tagen. Die Rückfallraten sind entgegen manch aufgeregter Berichterstattung in Einzelfällen immer noch bis zur Hälfte niedriger, als bei Tätern in normalen Gefängnissen. Die potenzielle Gefährlichkeit der Verurteilten soll nicht verharmlost werden, aber in der Realität ist die Zahl der Fluchtversuche sehr gering. Nahlah Saimeh, ärztliche Direktorin des Zentrums für Forensische Psychiatrie Lippstadt spricht von 16 000 Lockerungsmaßnahmen in ihrer Einrichtung pro Jahr. Eine »Entweichung« gibt es durchschnittlich nur alle drei Jahre.

Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes dürfen psychisch kranke Täter nicht gegen ihren Willen mit Psychopharmaka behandelt werden. Jürgen L Müller, Arzt für Forensische Psychiatrie aus Göttingen, weist auf die Folgen dieser Entscheidung hin: Patienten müssten häufiger isoliert werden, es komme zu Polizeieinsätzen auf den Stationen. Der Berufsverband der Psychiater fordert angemessene Betreuungsschlüssel im Maßregelvollzug, die Entwicklung von besseren Therapieverfahren und Präventionsstrategien. Zudem müssten Behandlung und Betreuung auch nach der Entlassung langfristig weitergeführt werden, um Rückfälle zu vermeiden.

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