Ruck-Zuck

»Nachtzug nach Lissabon« von Bille August

  • Marion Pietrzok
  • Lesedauer: 4 Min.

Dieses Werk des alten Filmhasen Bille August gehört für mich zu den Ruck-Zuck-Alles-ist-klar-Filmen: Da wird ein Bild, ein Detail gesetzt und, zuck, schon im nächsten Augenblick erschließt sich seine Bedeutung. Mein Geschmack, da ich vom Kino Zauber, Spannung, Geheimnis auch in klar erzählter Geschichte erwarte, ist das nicht. Das Schwingen von Ambivalenzen ist mir entbehrlich nur bei einem ausgewiesenen Hau-drauf-Action-Film. Aber hier: 110 Minuten Ruck-Zuck. Wie das Ziehen beim Schach, das die Hauptfigur spielt, noch bevor morgens der Wecker klingelt.

Ruck: Rings um den Schachbretttisch bestgefüllte Bücherregale die Menge. Zuck: Er ist ein Intellektueller. Ruck: Für den Frühstückstee behilft der um die 60-Jährige sich angesichts leerer Packung mit einem schon gebrauchten Teebeutel aus dem Mülleimer. Zuck: Ihm fehlt eine (Haus-)Frau. Er ist allein, mit relativ viel Freiheit, innerhalb der zuverlässig geregelten Bahnen, über seinen Tagesablauf selbst zu entscheiden. Ruck: Auf seinem morgendlichen Weg zur Arbeit regnet es, er trägt einen Schirm. Den lässt er los, als er auf der Brücke plötzlich eine junge Frau sieht. Sie steht auf dem Brückengeländer. Der Schirm trudelt tief hinab, in den dunklen Fluss, die Kamera blickt dem Schirm intensiv nach. Zuck: Die potenzielle Selbstmörderin ist gerettet.

Ruck: Der Mann trägt eine Brille. Die Gläser sind dick. Derart dick und das Gestell derart daneben, dass, zuck, klar ist, mit der passiert noch was. Tatsächlich geht sie einige Szenen später zu Bruch - da ist er schon nicht mehr in Bern bei seinen Schülern, sondern in Lissabon, hatte Hals über Kopf (ruck-zuck) ohne Gepäck und Mantel den Nachtzug genommen - und, zuck, parliert er mit der Augenärztin, als seien sie seit ewig Bekannte (ob auf Schwyzerdütsch oder Portugiesisch ist in der deutschen Synchronfassung nicht auszumachen). Die Augenärztin, jünger, gutaussehend, verpasst ihm eine neue Brille (hinter der alsbald tatsächlich, wohl auch der Augenärztin wegen, die bislang müden melancholischen Augen freudig-hell aufblitzen). Neue Brille, neuer Blick, neues Leben. »Schöne Brille.«, sagt der Lissaboner Hotelier zu seinem (einzigen) Gast - da ist bei mir als Zuschauer das Maß voll, so viel Überdeutlichkeit und Betulichkeit treibt aus dem Kinosessel hoch und hinaus. Nicht zuletzt auch, um dem Dauersound der immer noch eins drauf setzenden Filmmusik zu entgehen (das wirklich hervorragende Babelsberger Filmorchester kann natürlich nichts dafür).

Doch man hat es ja mit der Verfilmung des gleichnamigen Bestsellerromans von Pascal Mercier (Künstlername von Peter Bieri) zu tun. Das Buch ist spannend, psychologisch tieflotend, ein Poeticon der Philosophie - Letzteres sollen wohl die im Film permanent aus On und Off säuselnden Zitate belegen. Es ist eine Studie des Mensch- und Un-Mensch-Seins zur Zeit des Salazar-Regimes. Es ist eine individuelle Selbstfindungsreise, verquickt mit Problemen für einen (fremden) nationalen Selbstfindungsprozess. Also alles kompliziert genug, um es nicht per Ruck-Zuck und mit teils lächerlichen Klischees abhandeln zu können. Aus Respekt vor dem Buch bleibt man im Kinosessel sitzen. Und erlebt zumindest ein paar hervorragende darstellerische Leistungen.

Jeremy Irons als der Berner Lehrer ist - inzwischen knittriger im Gesicht und schlanker denn je - mit den tiefen Schwermutsaugen und der bewahrten Fitness immer noch schön anzusehen und beweist in jedem Moment unvermindert seine charakteristische aristokratische Grazie. Die zweite Hauptrolle aber spielt: die Altstadt von Lissabon, kitsch-malerisch in Szene gesetzt. Das Tourismusbüro der Stadt wird sich beim Filmteam für so viel Werbung bedanken.

Bruno Ganz darf in seiner eher kleinen Rolle ein zappelndes, schreiendes Von-der-Rolle-Sein demonstrieren, eine Besoffenheitsetüde derart ausgespielt, dass sie sich wie das Hitler-Handzittern ins Filmgedächtnis prägen dürfte. Burghart Klaußner ist - in gesteigerter Form: gehemmt sprachlos - der schmallippig-harte und doch (aufschnaufend) liebende, also der »Das weiße Band«-Vater. Den wird er eben leider nicht los.

Charlotte Rampling als in schwarzer Trauer schmal und vertrocknet zusammengefaltete Geheimnistuerin kommt ebenso gut, nur aus dem kurzatmigen Drehbuch kommt auch sie nicht heraus. So bleiben der einst an ihr vollzogene Luftröhrenschnitt - ruck - und also der heute - zuck - ständige nervöse Griff an Schal und Kehle ohne inhaltliche Funktion. Im Roman stand beides symbolisch für die gesellschaftliche Situation in Portugal vor 1974 und nach der Nelkenrevolution.

Weiterhin: Martina Gedeck, August Diehl, Christopher Lee, Lena Olin - der Film wirbt mit seiner Besetzung. Doch auch diese Stars können nichts daran ändern, dass er nichts zum Mitfühlen ist. Und wenn er in einer seiner Rückblenden ein Beispiel für die Gewalt und den unglaublichen Zynismus der Machthaber während der Diktatur ins Bild nimmt, dann wird der Hammer mit solch demonstrativer Wucht auf die Klavierspielerfinger gehauen, dass man sich - wie das Opfer - den Schmerz verbeißt.

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