Rassistische Motive werden ignoriert

Griechischer Flüchtlingsrat kritisiert Vorgehen der Behörden bei Gewaltverbrechen gegen Migranten

  • Lesedauer: 3 Min.
Über zunehmende rassistische Gewalt in Griechenland sprach Filippos Sacharis mit der Pressereferentin des griechischen Flüchtlingsrats, Athena Konstantinou, und dem Anwalt Vasilis Kerasiotis.

nd: Haben rassistische Übergriffe in Griechenland auf Flüchtlinge und Einwanderer zugenommen?

Konstantinou: Ja, auf jeden Fall. Zumindest basierend auf dem, was wir sehen und hören. Die Menschen, die sich wegen solcher Übergriffe an unsere Organisation wenden, sind mehr als je zuvor. Und die Gemeinschaften dieser Minderheiten wehren sich zunehmend gegen rechtsextreme Übergriffe. Dies könnte auch anderen Opfern rassistischer Gewalt helfen.

Glauben Sie, dass die Maßnahmen des Ministeriums für öffentliche Ordnung zum Schutz vor solchen Übergriffen ausreichen?

Konstantinou: Theoretisch ja. Aber wir müssen sie erst in die Praxis umsetzen, um zu sehen, welche Wirkung sie haben.

Kerasiotis: Die neu geschaffene Beschwerdeabteilung gegen rassistische Gewalt steht noch am Anfang. Die Belegschaft dieser Abteilung hat nicht genau verstanden, was sie tun soll. Die Mitarbeiter behaupten, wenn ein solcher Übergriff passiert, dass kein rassistischer Beweggrund oder Motiv vorliege. Hauptgrund dafür sind die überholten gesetzlichen Rahmenbedingungen. Rassistische Motive werden nur vor Gericht aufgespürt. Es ist eine positive Initiative, die aber kein Problem löst. Nach meinen Informationen sind die Verfolgung und Anklagen wegen rassistischer Gewalt drastisch gesunken sind. Dies bedeutet aber nicht, dass die Übergriffe weniger werden.

Beschwerden oder Klagen gehen also verloren?

Kerasiotis: Ja. Entweder weil angeblich kein rassistisches Motiv vorliegt oder keine Täter ermittelt werden können u.s.w.

Wie versucht der griechische Flüchtlingsrat zu helfen?

Konstantinou: Wir betreuen täglich viele Menschen, vor allem jene, die einen Asylantrag stellen wollen. Sie werden mit Hilfe von Rechtsanwälten interviewt. So können wir feststellen, welche Personen irgendeine Form von Gewalt erlebt haben. Wir prüfen die Anfragen der Flüchtlinge und gewähren Rechtsschutz in den Fällen, die unserer Meinung nach die Anforderungen für den Prozess erfüllen.

Wie behandeln die griechischen Behörden Asylsuchende?

Konstantinou: Der Zugang zum Asylverfahren ist extrem eingeschränkt. Die Behörden nehmen nur 20 Anfragen pro Woche entgegen. Die Asylsuchenden stehen in langen Schlangen vor dem Amt. Es gibt Menschen, die monatelang in der Schlange stehen, bis sie ihr Ziel erreichen und dann oft auf feindseliges Verhalten der Beamten stoßen.

Seit wann haben rassistische Übergriffe in Griechenland zugenommen und diese neue Dimension erreicht?

Konstantinou: Die Lage hat sich jedoch im letzten Jahr extrem verschlechtert. Solche Angriffe sind kein ganz neues Phänomen und mit dem Anstieg der rechtsextremen Partei Chrysi Avgi (Goldene Morgenröte) eng verbunden.

Werden die Täter bestraft?

Konstantinou: Dies ist ein riesiges Problem, das wir zu bekämpfen versuchen. Offensichtlich gibt es Straffreiheit. Aber es gibt auch Polizisten, die bereit sind zu helfen.

Glauben Sie, dass sich in Griechenland nach den wiederholten Verurteilungen durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wegen Folterungen und Misshandlungen die Politik bald ändern wird?

Kerasiotis: Es gibt leider kein präsidiales Dekret hinsichtlich rassistischer Gewalt. Und die neue Beschwerdeabteilung funktioniert noch nicht. Eine Verbesserung dieser Situation ist derzeit nicht in Sicht.

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