Der Druck steigt
Wirtschaftskrise und Proteste begleiten EU-Gipfel in Brüssel
Offiziell ist es kein Krisengipfel, wenn sich die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Mitgliedsstaaten heute und morgen in Brüssel treffen. Der »EU-Frühjahrsgipfel« widmet sich traditionell der wirtschaftlichen Lage EU-Europas, um politische Leitlinien festzulegen. Die steigende Arbeitslosigkeit, Rezessionstendenzen und wachsender Protest in den am meisten von der Krise betroffenen Ländern setzen die Staatenlenker jedoch gehörig unter Druck. Bei der Zusammenkunft will der Europäische Rat dennoch keine wegweisenden Beschlüsse fassen. Maßnahmen zur Ankurbelung von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit sowie die Wirtschafts- und Budgetpolitik der einzelnen EU-Länder sollen nur besprochen werden, um beim nächsten Treffen in drei Monaten konkrete Empfehlungen an die Mitgliedsstaaten zu richten. So sieht es das Regelwerk des »Europäischen Semesters« vor, das mit einer jährlichen, vorbeugenden Koordinierung Schulden- und Finanzkrisen verhindern soll.
Nun heißt es jedoch erst einmal Schelte an die nationalen Politiker austeilen. Laut Einladung von Ratspräsident Herman Van Rompuy wird nach einem Gespräch mit dem Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz, EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso ernste Worte über den Zustand der Wirtschafts- und Währungsunion verlieren. In einer für mehrere Stunden angesetzten Beratung wird Barroso wohl den Staats- und Regierungschefs vorhalten, dass sie die Vorgaben aus dem im Juni vergangenen Jahres beschlossenen Wachstumspakt nicht eingehalten haben. »Die Umsetzung ist zu niedrig und zu langsam«, sagte er bereits am Mittwoch in Straßburg vor dem EU-Parlament. Im Juni 2012 wurde ein Wachstumspakt mit einem Volumen von 120 Milliarden Euro vereinbart.
Barroso verlangt von den Regierungen auch, ihre Sparbemühungen fortzusetzen. Nach einem Bericht der »Süddeutschen Zeitung« hat der Portugiese ein erschreckendes Zahlenwerk vorbereiten lassen. Damit will Barroso Ratsmitglieder wie den französischen Präsidenten François Hollande unter Druck setzen, Löhne zu drücken, und David Cameron zu einer strengeren Haushaltskonsolidierung anhalten. Neun der 17 Euro-Länder sollen sich 2013 höher verschulden als erlaubt, von den 27 Mitgliedsstaaten ist es knapp die Hälfte, lauten Informationen der »Süddeutschen«.
Mit voreiligem Gehorsam geht Bundeskanzlerin Angela Merkel in die Gespräche. Der Entwurf des Bundeshaushalts 2014, der mit einer geplanten Neuverschuldung von 6,4 Milliarden Euro nach Regierungsangaben strukturell ausgeglichen sei, wolle Finanzminister Wolfgang Schäuble ein »starkes Signal auch für Europa« setzen. Unterdessen wurde bekannt, dass Merkel und Hollande am Montag in Berlin über die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit diskutieren wollen. Eingeladen sind dazu 50 Chefs großer Industrieunternehmen aus ganz Europa.
Vorher stehen aber noch viele weitere Themen auf der Tagesordnung des EU-Gipfels. Dazu gehören etwa Gespräche über den EU-Rettungsfonds ESM. Das geplante Hilfsprogramm für Zypern soll bei einem eigenen Eurozonen-Treffen beraten werden.
Während der Tagung im Ratsgebäude werden die Staatenlenker wohl kaum von dem geplanten Protest um sie herum mitbekommen. Das Bündnis »Für einen europäischen Frühling« hat dazu aufgerufen, gegen die EU-Krisenpolitik zu protestieren. Nach einem Demonstrationsverbot bekundeten mehrere EU-Abgeordnete der Linken, Grünen und Sozialdemokraten ihre Solidarität. »Ob Frankfurt oder Brüssel: legitimer Protest wird verboten oder vom eigentlichen Geschehen abgedrängt. Hier zeigt sich das wahre Verständnis zur europäischen Demokratie«, teilte Sabine Wils (LINKE) mit. Auch der Europäische Gewerkschaftsbund ruft zu einer Kundgebung in Brüssel auf.
Die IG Metall forderte einen Sondergipfel zur Jugendarbeitslosigkeit und ein europäisches Sofortprogramm. »Warum spannen die Staats- und Regierungschefs nicht einen Rettungsschirm für junge Menschen und deren Arbeit und Ausbildung?«, fragte IG-Metall-Chef Berthold Huber am Mittwoch, wie die Deutsche Presseagentur berichtete.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.