Machtfragen am Golf

Michael Klare über Obamas strategische Lehren aus dem Irakkrieg

  • Lesedauer: 4 Min.

nd: Zehn Jahre zurückblickend: Gab es unter Präsident George W. Bush überhaupt eine US-amerikanische Nahoststrategie?
Klare: Es gab keine Einzelstrategie, sondern eine Kombination aus mehreren. Der wichtigste Punkt war die Aufrechterhaltung US-amerikanischer Dominanz am Persischen Golf. Sie sollte gewährleistet bleiben durch die Ausschaltung oder Zurückdrängung von »Störern« - beginnend mit Saddam Hussein in Irak und weitergehend zum iranischen Klerikalregime. Ergänzend dazu sollte etwas vor aller Augen demonstriert werden: dass ein sogenannter vorbeugender Krieg legitim ist, wenn er Staaten ausschaltet, von denen man vermutet, sie würden Massenvernichtungswaffen gegen die USA und ihre Alliierten in Stellung bringen.

Eine weiteres strategisches Ziel war die Niederlage oder zumindest substanzielle Schwächung des Netzwerkes von Al Qaida, um die USA und ihre Verbündeten Israel, Kuwait und Saudi-Arabien vor terroristischen Attacken zu schützen. Zudem ging es um die Privatisierung der verstaatlichten regionalen Ölproduktion, um sie für US-amerikanische Ölfirmen zu öffnen. Präsident Bush tönte außerdem herum, in einem »befreiten Irak« gehe es um die Errichtung einer Demokratie mit freier Marktwirtschaft amerikanischen Stils.

Hat sich im Vergleich dazu unter seinem Nachfolger Barack Obama etwas grundlegend geändert?
Der Nahe und Mittlere Osten stehen auf der Prioritätenliste der US-Außenpolitik nicht mehr ganz oben. Das Epizentrum strategischer Planung ist unter Obama die asiatische Pazifikregion. Unter anderem werden die USA deshalb Militär und Militärgut aus dem Nahen Osten dorthin verlagern. Zweitens hat Präsident Obama Bushs unilateralen Ansatz des vorbeugenden Krieges, mit dem »Schurkenstaaten« bekämpft werden sollten, fallen gelassen zugunsten einer eher zurückhaltenden, multilateralen Herangehensweise. Außerdem neigt Obama nicht dazu, im Nahen Osten und anderswo Bodentruppen einzusetzen. Stattdessen sollen »Antiterroroperationen« von Spezialeinheiten und mit Hilfe von Drohnenangriffen durchgeführt werden.

Was denken Obama und sein außenpolitischer Stab heute über Bushs Irakstrategie?
Bush habe sich im Nahen und Mittleren Osten zu sehr aus dem Fenster gelehnt und wichtigere Regionen vernachlässigt, vor allem die Asien-Pazifik-Region. Die Kriege in Irak und in Afghanistan seien das Blut und das Geld nicht wert gewesen, hätten die USA noch weiter in die Verschuldung getrieben und das Militär geschwächt, lautet ihre Denkart. Sie sind darüber hinaus der Meinung, die Fokussierung auf Irak und Afghanistan habe es China erlaubt, in anderen Regionen zu Lasten Amerikas strategische Vorstöße zu unternehmen, vor allem in Süd- und Zentralasien. Diese Vorstöße müssten laut Obama und seinen Beratern wieder zurückgedrängt werden.

Wie plant das Verteidigungsministerium heute?
Die Pentagon-Pläne gehen nicht mehr von zwei, sondern nur noch von einem einzigen Bodenkrieg aus, der von den USA erfolgreich geführt werden könne. Die Militärs planen viel eher Luftangriffe und Angriffe von Flugzeugträgern aus. In diesen Bereichen zielen sie auf die totale Dominanz ab. Ein langer Bodenkrieg ist aus dieser Sicht unwahrscheinlich geworden.

Haben die Vereinigten Staaten in irgendeiner Weise Nutzen aus dem Irakkrieg ziehen können?
Ja in dem Sinne, dass sie potenzielle Bedrohungen für die USA-Dominanz am Persischen Golf, namentlich Saddam Hussein, eliminiert haben. Die Vereinigten Staaten werden zudem eine gewisse Militärpräsenz in Irak aufrechterhalten, was ihnen im Fall eines Krieges mit Iran nützlich erscheint. Insgesamt aber waren die Verluste größer als der Nutzen.

Was bedeuten die »Lehren«, die die Militärs und die Obama-Regierung aus dem Irakkrieg gezogen haben, für die Wahrscheinlichkeit einer US-amerikanischen Intervention in Iran oder in Syrien?
Große Skepsis herrscht mit Blick auf Bodeneinsätze und die Aufstandsbekämpfung, vor allem dort, wo die Bevölkerung oder ein großer Teil der Bevölkerung den USA feindlich gesinnt ist. Das deutete sich schon an, als Präsident Obama gegen größere Einsätze in Libyen war. Noch deutlicher ist es jetzt in Syrien. Stattdessen zielen die US-Strategen auf Einsätze ab, die von frei beweglichen Sondereinheiten durchgeführt werden können. Denn die kann man im Notfall ganz schnell wieder abziehen. Dazu kommen seegestützte Kräfte und natürlich die Drohneneinsätze. Genau das sehen wir heute in Nordafrika. All das dient vermutlich auch als Modell für zukünftige Militäreinsätze der USA im Nahen und Mittleren Osten.

Der Friedensforscher Michael Klare ist Professor am Hampshire College in Amherst (USA-Bundesstaat Massachusetts). Der renommierte Wissenschaftler hat sich durch zahlreiche Bücher und Zeitschriftenartikel, die unter anderem in »Foreign Affairs« und »The Nation« erschienen, auch international als Experte für abrüstungspolitische und militärstrategische Fragen einen Namen gemacht. Mit ihm sprach unser New Yorker Mitarbeiter Max Böhnel.

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