Goethes Feder

150. Todestag von Adam Mickiewicz

  • Katharina Mommsen
  • Lesedauer: 5 Min.
Am 26. November 1855 vernichtete die Cholera das Leben des genialsten, vielseitigsten polnischen Dichters, Adam Mickiewicz, als er vor Konstantinopel zur Teilnahme am Krimkrieg der Türkei, Frankreichs und Großbritanniens gegen Russland, eine polnische Legion aufstellen wollte, um Polens Befreiung herbeizuführen. Zwanzig Jahre früher hatte die Cholera in St. Petersburg die in ganz Europa bewunderte polnische Pianistin und Komponistin Maria Szymanowska hingerafft. Solchen pandemischen Seuchen standen die Menschen damals so hilflos gegenüber, dass Goethe, der mehrere Cholera-Epidemien miterlebte, seinen Freunden die Ergebenheit der Muslime in Gottes Willen anempfahl: »Im Islam leben wir alle, unter welcher Form wir uns auch Mut machen.« Mickiewicz wurde als 30-Jähriger mit seinem Reisegefährten Odyniec im Hause Goethes so herzlich, warm, ja geradezu zärtlich empfangen, wie es nur wenigen Besuchern beschieden war. Als sie am 19. August 1829 in Weimar eintrafen, um den großen Mann zu sehen, hatten sie nur einen kurzen Aufenthalt geplant. Doch Goethe lud sie zu seinem 80. Geburtstag ein, und die polnischen Gäste zählten die in Weimar verbrachten Tage zu den schönsten ihres Lebens. Vieles deutet darauf hin, daß Goethe Adam Mickiewicz' geistigen Rang sofort erkannte. Doch dienten Empfehlungsbriefe der allseits geliebten und verehrten Szymanowska als »Sesam-öffne-dich«. Schon vorher hatte sie, tief beeindruckt von ihrem genialen Landsmann, über den Kanzler von Müller an Goethe geschrieben, Mickiewicz' ungeheures Talent erfülle alle Polen mit Stolz; sie beschwöre Goethe, dessen Krim-Sonette zu lesen und dem jungen Dichter ein anerkennendes Wort darüber zu sagen. Auch berichtete sie, wie der junge Dichter, als er in ihrer Gegenwart in Petersburg die Verse und Feder sah, die Goethe Alexander Puschkin gewidmet hatte, ausgerufen hätte: Sein halbes Leben gäbe er für ein solches Geschenk von Goethe! Das war ein Wink, auch Mickiewicz eine Feder mit Versen zu schenken. Konnte Goethe der bezaubernden Szymanowska solche Bitten abschlagen?! War sie es doch, die 1823 in Marienbad sein das Doppelglück der Töne und der Liebe preisendes Gedicht »Die Leidenschaft bringt Leiden« ausgelöst hatte, das die Trilogie der Leidenschaft beschließt. Ihr Besuch in Weimar vom 24. Oktober bis 5. November 1823 stand ganz im Zeichen ihrer gegenseitigen Liebe, als sie an Goethes Flügel musizierte und die zauberhaftesten Gespräche mit ihm führte, die überliefert sind. Seit 1823 bewahrte der Dichter eine von der großen Künstlerin selbst angefertigte Stickerei in seinem Arbeitszimmer, die beziehungsvoll einen rot-weißen Singvogel zeigte, der im Laub eines Eichbaumes zwitschert. Nun begleitete ihre Empfehlung für den jungen Landsmann ein Geschenk, dessen Demutsgeste Goethe tief gerührt haben muß: ihre beiden Töchter hatten ein schöngelocktes, weibliches Antlitz auf eine Kissenplatte gestickt, die für einen Schemel bestimmt war, von dem die Szymanowska hoffte, er möge seine Füße darauf setzen, die sie mit Zärtlichkeit und Respekt küsse. Dieser Fußschemel steht noch heute im Schlafzimmer vor dem Sessel, in dem Goethe gestorben ist. Eine der jungen Stickerinnen, Celina, wurde 1835 Mickiewicz' Frau. Die erhoffte Schreibfeder des 80-jährigen Goethe empfing der junge Dichter mit Versen, die in den Goethe-Ausgaben betitelt sind: »An den Dichter Adam Mickiewitz mit einer angeschriebenen Feder. 1829«. Sie lauten: »Dem Dichter widm' ich mich, der sich erprobt | Und unsre Freundin heiter-gründlich lobt.« »Unsere Freundin», das war die beiden Dichtern innig verbundene Szymanowska. Als sie Goethe bat, die »Krim-Sonette« zu lesen, wusste sie, dass dieser Zyklus an Goethes »West-östlichen Divan« anknüpfte. Ihre Entstehung verdankten die Krim-Sonette der Verbannung des 1798 im polnischen Litauen geborenen Dichters aus seiner Heimat. Schon durch eine studentische Verbindung an der Universität Wilna war er dem zaristischen Regime verdächtig geworden. Seit 1819 als Lehrer für altklassische Sprachen in Kowno tätig, wurde er polizeilich beobachtet, 1823 politischer Geheimbündelei beschuldigt, 1824 nach mehrmonatiger Haft aus Litauen verwiesen und ins Innere Russlands verbannt. 1822 hatte Adam Mickiewicz seine ersten Balladen und Romanzen veröffentlicht. Der Aufbruch nach Odessa und der Krim brachte einen neuen dichterischen Durchbruch in Gestalt von Liebes-Sonetten und »Krim-Sonetten«. Ein dem »West-östlichen Divan« entlehntes Motto signalisiert die innere Nähe zu Goethe. Beide Dichter waren sich auch in ihrer Offenheit gegenüber den Muslimen und Sympathie für den Islam einig. Schon früh hatte Mickiewicz sich Goethes Hauptwerke zu eigen gemacht. »Werthers Leiden« wirkten aufs Intensivste auf ihn, als er tief verstrickt war in eine aussichtslose Liebe zu einem Mädchen, das einen begüterten Grafen heiratete. Mickiewicz' berühmte »Ode an die Jugend« weist in ihrer vorletzten Strophe Anklänge an den Weltschöpfungsmythos auf, wie Goethe ihn neuartig in dem Divangedicht »Wiederfinden« gestaltet hatte. Mickiewicz' Held Konrad aus dem 3. Teil der großen dramatischen Dichtung »Dziady« (Ahnenfeier) wurde schon von George Sand mit Goethes Faust verglichen. Konrad sei ein polnischer Faust. Während Goethes skeptischer Faust um Wahrheit an die Pforten des Himmels poche, tue es der fromme, von der Existenz eines Gottes tief im Innern überzeugte Pole um Freiheit. Dass Gott ist und dass er das weiß, genüge ihm nicht; er muss wissen, ob er ihn anbeten, fürchten oder hassen soll. Im Augenblick als er sich zur Erde wirft, um Gott zu fluchen, weil er seine Ketten nicht bricht und kein Wunder geschehen lässt, wird Konrad von Engeln gefasst. Das in Paris 1834 geschaffene Epos »Pan Tadeusz« wurde zur polnischen Nationaldichtung; wie in Goethes »Hermann und Dorothea« geht es zumeist um Alltägliches und doch strahlt alles in homerischem Glanz. Im Epilog dankt Mickiewicz den Freunden, die ihm »Wort um Wort« zuwarfen und auch, um seine Last zu erleichtern, »eine Feder«! Wer dächte da nicht an die Feder aus Weimar?! Anfang 2006 erscheint im Berstein -Verlag Bonn eine dreisprachige Edition: Adam Mickiewicz, Sonety Krimskie. (Sonnets de Crimée, traduits par Feliks Konopka; Krim-Sonette, übersetzt von Michael Engelhard.) Mit 21 Illustrationen, einer Einleitung und Anmerkungen von Michael Engelhard sowie einer CD mit Audio-Versionen der Sonette: Polnisch von Robert Mika, Französisch von Gilles Gavois, Deutsch von Michael Engelhard. (Stimmen der Völker in Liedern. Band I).

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