»Typisch für moderne Arbeitswelt«

In Hamburg scheiterte die Mindestlohnklage einer Toilettenfrau mit 600 Euro Grundgehalt

  • Folke Havekost
  • Lesedauer: 3 Min.
Hat sie geputzt oder nur die Aufsicht über die Toiletten bei Karstadt gehabt? Der Unterschied klingt klein, macht aber entscheidende Euro aus. Das Arbeitsgericht Hamburg lehnte die Lohnforderungen einer Frau ab. Karstadt und sein prekäres Geschäftsmodell sind damit fein raus. Nun hofft die Klägerin auf die nächste Instanz.

Eine Toilettenfrau muss möglicherweise mit 600 Euro im Monat für eine Vollzeittätigkeit zufrieden sein. Vor dem Hamburger Arbeitsgericht scheiterte Heidrun D. mit einer Klage auf den tariflichen Mindestlohn des Reinigungsgewerbes. Der Rechtsstreit landet nun vor dem Landesarbeitsgericht. Die 58-Jährige war bis zu ihrer Kündigung von April bis September 2012 für den von Benyamin Ö. geleiteten Fresh&Clean Reinigungsservice tätig. Ihr Einsatzort war hauptsächlich der Sanitärbereich der Karstadt-Filiale in der Hamburger Innenstadt. Das Kaufhaus hat seinen Toilettentrakt an den Subunternehmer Ö. verpachtet, der nach Angaben seines Anwalts Jan Freitag »keinen Cent« von Karstadt erhält, sondern als Einnahmequelle ausschließlich über Trinkgelder verfügt: »Da ist es schwierig, einen Businessplan aufzustellen«, sagt der Jurist und meint, der Fall sei »vielleicht typisch für die moderne Arbeitswelt«.

Geputzt oder beaufsichtigt?

Für Heidrun D. kamen zu 600 Euro brutto Grundgehalt am Ende des Monats »Prämien« je nach Einnahmesituation des Unternehmens. Ihr Anwalt Detlef Burian geht effektiv von 4,30 Euro Stundenlohn aus, nach der Rechnung des Arbeitgebers kommt die Frau auf einen Stundenlohn von bis zu 6,52 Euro. Beide Rechenexempel führen zu einem deprimierenden Resultat, aber dies sei »kein Rechtsstreit, der sich nach Billigkeitsempfindungen entscheiden lässt«, erklärt Richter Hans-Henning Goetze durchaus mit einem Ton des Bedauerns.

Daher geht es in der Sache vornehmlich um die Frage, ob die Klägerin überwiegend als Reinigungskraft oder »nur« als Aufsicht über den Toilettenbereich tätig war. Als Reinigungskraft würde ihr ein tariflich vereinbarter Mindeststundenlohn von 8,82 Euro zustehen. Während D. schildert, sie sei zu 90 Prozent mit Reinigung beschäftigt gewesen, geht die Gegenseite nur von 15 Prozent aus. Eine Grundreinigung der Toiletten in der ersten Stunde sei mit neun Euro besonders vergütet worden, danach habe die Aufsichtstätigkeit über den Sanitärtrakt im Vordergrund gestanden.

Während Klagen auf Mindestlohn noch nicht allzu oft auftreten, kommt es immer häufiger zu Prozessen mit Beteiligung von Subunternehmern. Oft befinden diese sich selbst in einer prekär-scheinselbstständigen Lage, die ihnen einen Anspruch auf Prozesskostenhilfe ermöglicht. »Es gibt nicht nur Arbeitgeber mit Pelzkragen«, sagt Richter Goetze. So ist es zwar kurios, aber durchaus konsequent, dass der Anwalt des beklagten Unternehmers ein indirektes Plädoyer für einen gesetzlichen Mindestlohn hält. »Das Geschäftsmodell hat sich der Karstadtkonzern ausgedacht, mein Mandant hat es nicht zu verantworten«, erklärt Freitag und rechnet nach: »Mit einem gesetzlichen Mindestlohn würde das Geschäftsmodell nicht funktionieren.«

Arbeitnehmer im Nachteil

»Ein Geschäftsmodell kann nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden«, kontert sein Pendant Burian. Nach 35 Minuten wird die Verhandlung unterbrochen. Wie am Arbeitsgericht üblich, versucht der Richter, die Konfliktparteien zu einem Vergleich zu bewegen. Eine Nachzahlung von 1100 Euro hatte die Klägerin im Vorfeld abgelehnt. Goetze drängt die Parteien zu einer »versöhnlichen Geste«, doch die bleiben bei ihren Positionen.

Der Nachweis seiner genauen Tätigkeit sei in solchen Fällen »leider ein Geschäft, das für den Arbeitnehmer schwierig zu führen ist«, hatte der Richter während der Verhandlung erklärt. Und so überrascht es nicht, dass die Klägerin kein Recht bekommt: Sie habe nicht darlegen können, dass sie in den von ihr betreuten Toiletten überwiegend Reinigungsarbeiten durchgeführt hat, daher habe die Anwendbarkeit des Tarifvertrags nicht festgestellt werden können, begründet das Gericht.

Anwalt Burian will nun vor das Landesarbeitsgericht ziehen. »Meine Mandantin ist keine Kreuzritterin, aber sie möchte eine Entscheidung haben«, sagt er und setzt auf einen aufklärerischen Nutzen der Prozesse: »Wenn es dazu führt, dass einige über die Situation nachdenken, steht sie so oder so als Gewinnerin da.«

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