Big Sister is watching you!
»Oblivion« von Joseph Kosinski
Joseph Kosinski ist ein smarter, wenngleich etwas reservierter Typ, der mit seiner Popper-Tolle eher wie ein Fashion Designer aus den 1980er Jahren als ein Filmemacher von heute aussieht. Die musikalische New-Wave-Ära setzte ganz auf futuristische Elektronik - und diese verwendet der aus der Werbeclip-Branche stammende Regisseur bis heute in seinen Produktionen. Als ich Gelegenheit hatte, ihn vor zwei Jahren für seinen Spielfilmerstling »Tron Legacy«, der Fortsetzung des ersten zum Großteil computergenerierten Kult-Science-Fiction-Streifens »Tron« (1982), zu interviewen, wollte er lieber über andere Projekte sprechen: So über das nicht zustande gekommene Remake von »Logan‘s Run« (»Flucht ins 23. Jahrhundert«, 1976) und das noch in der Pipeline befindliche Remake von »The Black Hole« (»Das schwarze Loch«, 1979). Und dann deutete er an, dass er seine eigene Graphic Novel »Oblivion« unter dem Arbeitstitel »Horizons« filmisch umsetzen wollte. Doch das Disney-Studio, dass ihm »Tron Legacy« anvertraut hatte, würde Schwierigkeiten machen, weil der Stoff zu gewalttätig für sein jugendliches Publikum wäre.
Zwei Jahre später ist es Kosinski gelungen mit einer anderen Produktionsfirma - Universal Pictures - sein Wunschprojekt adäquat auf die große Leinwand zu bringen: Erstaunlich wie gekonnt er mit der digitalen Animation umzugehen versteht, um seinen Entwurf einer apokalyptischen Zukunft von der kühnen Graphic Novel in einen noch bildgewaltigeren Film übertragen: »Oblivion« (englisch, »Vergessenheit«) demonstriert den bisher weitesten Stand digitaler Aufnahme- und Projektionstechnik. In »Oblivion« lebt die verbleibende Menschheit in schwebenden Städten, da die bis zur Unkenntlichkeit zerstörte Erdoberfläche von einer blutrünstigen Alienrasse namens Scavs heimgesucht wird. Von einem Militärgericht verurteilt, soll der der Soldat und Flugdrohnen-Monteur Jack Harper (Tom Cruise) lebenswichtige Ressourcen sichern. Seine Partnerin Vika (Andrea Riseborough) bleibt in der Wolkenstadt zurück. Bei einem Patrouillen-Flug entdeckt er in einem auf die Erde gestürzten Raumschiff eine schöne Fremde (Olga Kurylenko), die behauptet seine Frau Julia zu sein. Dies löst eine Kettenreaktion von Ereignissen aus. Plötzlich hat Jack nicht nur mit den Scavs und im Untergrund befindlichen Rebellen um deren Anführer Malcolm Beech (Morgan Freeman) zu kämpfen, sondern auch mit der Tatsache, dass vor Beginn seiner Strafmission sein Gedächtnis gelöscht wurde. Seine ganze bisherige Existenz muss er in Frage stellen - und er fragt sich, wer seine eigentlichen Feinde sind.
Zusammen mit den Produzenten Peter Chernin und Dylan Clarke (»Planet der Affen: Prevolution«) konnte Kosinski seine 120 Millionen Dollar teure Vision einer düsteren Zukunft stemmen. Das Kreieren von neuen Welten, ob im Inneren eines Computers (»Tron Legacy«) oder im uns bekannten Universum (»Oblivion«) ist seit Stanley Kubricks »2001: A Space Odyssey« (»2001: Odyssee im Weltraum«, 1968) und eben Steven Lisbergers »Tron« (1982) niemand so gut gelungen wie ihm. In den Punkten atmosphärische Regie, visionäre Filmarchitektur, Einsatz der Musik und Koordination von digitalen Effekten hätten sich Tom Tykwer und die Wachowski-Geschwister bei »Cloud Atlas« (2012) eine gewaltige Scheibe von Kosinski und Co. abschneiden können. Nicht umsonst heißt das Raumschiff, mit dem Tom Cruise und Morgan Freeman am überraschenden Ende zum mit kalter Freundlichkeit in »Big Sister is watching you«-Manier die ganze Strafaktion überwachenden Monitorgesicht Sally (Melissa Leo) reisen, »Odyssey«. Das zweite Kubrick-Motiv ist dessen Debütfilm »Fear and Desire« (1953), den der Meisterregisseur zu Lebzeiten eigenhändig aus dem Verkehr gezogen hatte und der dieser Tage endlich auf DVD erschienen ist, entlehnt: Wie den Soldaten, die im Niemandsland ihren Doppelgängern begegnen, steht sich Tom Cruise alias Jack Harper plötzlich selbst gegenüber. Einem anderen Science-Fiction-Klassiker erweist die Dystopie, die vom synthetischen Soundtrack von Anthony Gonzales und M.8.3 rhythmisch vorwärts getrieben wird, ebenfalls seine Referenz: Wie in Francois Truffauts »Fahrenheit 451« (1966) wird der linientreue Protagonist erst durch das Lesen von Büchern zum Systemkritiker.
Nun ist Tom Cruise nicht Oskar Werner, aber wenn er in den Städtetrümmern der Erde einen Band mit Gedichten der römischen Antike findet, ist das ein wirklich poetischer Moment in einem beklemmenden Endzeit-Szenario. In der Tat dringt der seit Kubricks finalem Epos »Eyes Wide Shut« (1999) bei allen Action-Star-Qualitäten mit großer Ernsthaftigkeit agierende Cruise immer weiter in die Gefilde des Charakterschauspielerei ein. In »Oblivion« stiehlt er zumindest dem großen Morgan Freeman die Show, der als Rebellenanführer seltsam blass bleibt. Der einzige Schwachpunkt in diesem gedanklich herausfordernden Blockbuster.
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