Keine Wohlfahrt für Arbeitnehmer

SPD-nahe AWO drangsaliert Gewerkschafterin

  • Marcus Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
In Bochum wird eine kritische Betriebsrätin mit Abmahnungen überzogen. Ihr Arbeitgeber: die SPD-nahe Arbeiterwohlfahrt.

Sie wurde 1919 als »Wohlfahrtsausschuss« der SPD gegründet, löste sich formal von der Partei, zählt aber immer noch zur blaß-roten Familie. »Wir sind Schwestern, die etwas gemeinsam haben: das rote Herz«, attestiert ihr SPD-Chef Sigmar Gabriel. Ihr Handeln sieht sie als »durch die Werte des freiheitlich-demokratischen Sozialismus« bestimmt, so ist es in ihrem Leitbild für jedermann nachlesbar. Doch die Arbeiterwohlfahrt mus sich in Bochum mit der ebenfalls arbeiterbewegten Gewerkschaft ver.di befehden.

Der Vorwurf: Die AWO habe eine kritische Gewerkschafterin mit Abmahnungen überzogen. Gleich vier blaue Briefe binnen sieben Monaten erhielt Sabine Kleemann, die stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrats der Arbeiterwohlfahrt im Bezirk Westliches Westfalen. Hier soll eine aktive Gewerkschafterin eingeschüchtert, wenn nicht gekündigt werden, glaubt man bei ver.di. »Sabine Kleemann hat sich gegen Überstunden und eine Überlastung des Personals gewehrt, bei der ein ordentliches, sicheres und menschenwürdiges Arbeiten nicht mehr möglich ist«, sagt Detlev Beyer-Peters, Vorsitzender der Landesfachkommission Pflege von ver.di NRW.

»Emmely«, so scheint es, sitzt nicht mehr bei Kaiser's an der Kasse und wird wegen eines angeblich falsch eingelösten Pfandbons fristlos gekündigt. Nein, »Emmely« heißt jetzt Sabine, arbeitet bei der AWO, pflegt alte Menschen, und schon falsche Fingernägel reichen als Anlass aus, um sie in arbeitsrechtliche Bredouille zu bringen: Kunstharz-Fingernägel - mit einer nachgeschobenen Dienstanweisung für riskant erklärt, sofern sie an der Hand der Betriebsrätin und nicht einer anderen Pflegerin kleben, und zwar auch dann, wenn sie lediglich zwei Millimeter überstehen und seit 18 Jahren keine Probleme bereiten - sowie Zahlendreher in einer Abrechnung, um exakt zu sein.

Zu wilde Krallen für die AWO? Bei ver.di habe man schon ähnliche Fälle erlebt, doch dieser sei besonders krass. Sabine Kleemann habe der AWO nicht geschadet, und das behaupte die AWO auch gar nicht. »Einmal«, so Beyer-Peters, »hat sie ein kalendarisches Datum verwechselt, einmal bestand Unklarheit, auf welcher Grundlage sie die Länge eines Reiseweges berechnen durfte. Kürzester Weg oder tatsächlich gefahrene Kilometer, da bestand Klärungsbedarf - aber kein Grund für eine Maßregelung!« Beyer-Peters sah sich gar genötigt, die AWO an ihre Wurzeln in der Arbeiterbewegung zu erinnern.

Dabei gelten die Tarifgehälter der AWO sogar als vergleichsweise fair, doch natürlich sind die Kosten gedeckelt. »Höhere Gehälter«, sagt ver.di-Mann Beyer-Peters, »werden durch Personalverknappung und Arbeitsverdichtung kompensiert.«

In dieser Woche trafen sich die Streitparteien vor Gericht. Und die 44-jährige Kleemann bekam Recht: Alle vier Abmahnungen sind »ersatzlos aus der Personalakte« zu streichen, entschied nun das Arbeitsgericht Bochum.

Die AWO beschwieg derweil standhaft bis heute eine nd-Anfrage zu ihrer Sicht der Dinge. Ein Indiz mehr, dass der Grundkonflikt noch nicht bereinigt sein und auch höhere Instanzen beschäftigen könnte.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.