»Ding, Dong! Die Hex' ist tot«
Nach Margaret Thatchers Tod schoss ein alter Song in den »UK Top 40«-Charts (fast) ganz nach oben - warum bloß?
nd: Seit Margaret Thatchers Tod ist der Song »Ding, Dong! The Witch Is Dead« (»Die Hex ist tot«) aus dem Filmmusical »The Wizard of Oz« in Großbritannien auf Platz 2 der Charts geklettert. Was ist da los?
Walter: Das geht zurück auf eine Initiative, die sich schon vor einigen Jahren zusammengetan hat mit dem Ziel, dieses Stück in der Woche, in der Margaret Thatcher stirbt, massenhaft zu kaufen und so zur Nummer 1 zu machen. So etwas hat in Großbritannien Tradition. Zum Beispiel waren ausgerechnet in der Woche des Thronjubiläums der Queen die Sex Pistols mit »God Save The Queen« in England Nummer 2. Es wurde damals spekuliert, ob der Titel nach Verkäufen sogar Nummer 1 gewesen wäre und nur durch Manipulation nicht ganz oben stand.
Man hat das Gefühl, dass im Hype um den Hexen-Song eine Befreiung der Bevölkerung aufscheint - vergleichbar der Freude über den Sturz eines Diktators.
Kein Politiker und keine Politikerin der Nachkriegszeit hat so stark polarisiert wie Thatcher, weil sie ganz klar Stimmung gemacht hat gegen weite Teile der Gesellschaft. Mit unglaublicher Verve hat sie beispielsweise den damaligen Bergarbeiterstreik bekämpft. Sie hat das zu ihrem persönlichen Anliegen gemacht.
Welche Rolle spielt der Umstand, dass Thatcher eine Frau war, für die Häme?
Einen großen. Es kursiert nicht nur der Song »The Witch is Dead«, sondern auch der Spruch »The Bitch is Dead« (»Die Schlampe ist tot«). Das hat schon frauenfeindliche Züge. Andererseits weist der Kritiker Jon Savage darauf hin, dass sie nicht dafür gehasst wird, dass sie eine Frau gewesen ist, sondern dafür, dass sie die Frau gewesen ist, die sie gewesen ist: Sie musste mehr Macho sein als alle Männer. Sie hat so männliche Bastionen wie eine Bergarbeitergewerkschaft geschliffen.
Täuscht der Eindruck, dass Margaret Thatcher schon zu Lebzeiten zu einer Popfigur geworden war?
Nein, das stimmt absolut. Außer Ronald Reagan und vielleicht Hitler, glaube ich, gibt es keinen Politiker, über den so viele Songs kursieren wie über sie. Und das waren keine Songs aus der linksradikalen Nische, sondern die waren in den Charts und wurden im Radio gespielt.
In der derzeitigen Debatte lautet ein Argument, diese Häme zeuge von einem pietätlosen Umgang mit der Verstorbenen. Die Andern sagen, einzig dieser Umgang ist einer Person wie Thatcher, die so viele politische Grausamkeiten begangen hat, angemessen. Was meinen Sie?
Ich finde, das ist ganz klar legitim. Was bei uns als Pietätlosigkeit gegeißelt wird, ist in England völlig normal. Ironie und Sarkasmus sind dort in der öffentlichen Auseinandersetzung viel alltäglicher als hier. In Deutschland wäre doch, als Hannelore Kohl sich umgebracht hat, niemand auch nur im Entferntesten auf die Idee gekommen, das Ärzte-Stück »Helmut Kohl schlägt seine Frau« auszugraben.
Obwohl das in Großbritannien entspannter gehandhabt wird, gibt es dort im Augenblick eine lebhafte Diskussion darüber, ob der Song, in dem wohlgemerkt Thatchers Name überhaupt nicht vorkommt, in der Radio-Hitparade gespielt werden soll oder aus Rücksichtnahme nicht. Die BBC weigert sich offenbar, das Lied in der Charts-Sendung auszuspielen. Kommt das nicht einer politischen Zensur gleich?
Natürlich ist das Zensur. Es ist aber auch tatsächlich ein persönlicher Angriff. Obwohl kein expliziter Name gesagt wird, wissen alle, wer die Hexe ist - das ist ja das Geniale daran. Und alle wissen, dass es nur deswegen gekauft wird. Wenn ich mich in den Kopf eines BBC-Intendanten versetzen würde, bekäme ich auch ziemlich kalte Füße.
Erzürnt man die Leute nicht noch mehr, wenn man diesen Song nicht ausspielt, den sie in die Charts gewählt haben?
Doch, klar. Das ist, wenn man so will, die Fortsetzung der Thatcher-Politik post mortem: Aus dem Grab heraus zensiert Thatcher sozusagen ihr eigenes Grablied.
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