Pathetische und bittere Worte

In Warschau läuteten alle Kirchenglocken zum Gedenken an den Ghettoaufstand

  • Julian Bartosz, Wroclaw
  • Lesedauer: 3 Min.
Polen gedachte am Freitag der Helden des Aufstands im Warschauer Ghetto, der am 19. April 1943 ausbrach. 27 Tage lang, bis zum 16. Mai, hatten sie gegen eine Übermacht von Wehrmacht, Polizei und SS-Einheiten verzweifelt um ihr Recht auf Leben und einen ehrenhaften Tod gekämpft.

Den Auftakt der Gedenkfeiern bildete am Vorabend des 70. Jahrestages eine Gala im Großen Theater der polnischen Hauptstadt, eröffnet mit dem jüdischen Gebet »El male rachamim« (Gott voller Erbarmen), den Hymnen Polens und Israels und dem Kampflied der Aufständischen. In Anwesenheit des polnischen Präsidenten Bronislaw Komorowski und ranghoher Gäste aus Frankreich, Großbritannien, den USA, Deutschland und anderen Staaten intonierte das Philharmonische Orchester Israels unter der Stabführung von Zubin Mehta Werke Ludwig van Beethovens.

Am Freitag läuteten zu Ehren der Widerstandskämpfer die Glocken aller Warschauer Kirchen. Bei der zentralen Gedenkfeier am Denkmal der Ghettokämpfer nannte Präsident Komorowski den Aufstand einen »heroischen Kampf um Menschenwürde und Menschenrecht«. Im Anschluss an die offizielle Feier führte ein Marsch zum sogenannten Umschlagplatz im Ghetto. Von dort deportierten die Deutschen 1943 etwa 300 000 Menschen in das Vernichtungslager Treblinka.

Symcha Ratajzer-Rotem, einer der wenigen noch lebenden Ghettokämpfer, wurde von Komorowski mit dem Großkreuz des Ordens »Polonia Restituta« ausgezeichnet. Rotem, der sich damals »Kazik« nannte, erinnerte daran, dass sich die Aufstandsleitung Ende April an die Führung der polnischen Armia Krajowa (AK) mit der Bitte um Hilfe bei der Evakuierung gewandt, doch keine Antwort erhalten hatte. Er selbst, der mehrere Kämpfer durch die Kanalisation auf die »arische Seite« geschleust hatte, sei aber auch auf Polen getroffen, die sich als wahre Menschen erwiesen hätten. Deren heldenhaftes Verhalten wiege freilich das Versagen anderer nicht auf. Es habe Leute gegeben, die mit einem Fingerzeig den Tod auslösen konnten. Er verstehe sie ebenso wenig wie jene, die sich auch nach dem Kriege noch an antijüdischen Pogromen in Polen beteiligten.

Bitter klangen Rotems Worte über das Alleinsein im Kampf und über die Gleichgültigkeit der Welt. Damit stimmte er Bronislaw Komorowski zu, der beklagt hatte, dass polnische Kämpfer bei allen drei Versuchen, sich gegen die nazistische Übermacht zu stemmen, einsam und verlassen blieben: bei Kriegsbeginn im September 1939, im April 1943 und beim Warschauer Aufstand im August 1944.

Im Rahmen der Feierlichkeiten wurde auch das neue, aus staatlichen und privaten Mitteln erbaute »Museum der Juden in Polen« eröffnet. Bis zum 16. Mai werden zahlreiche Veranstaltungen zum 70. Jahrestag des Aufstands stattfinden.

Alle Teilnehmer des Gedenkens trugen am Freitag eine aus Papier gefertigte Narzisse als Symbol für den »Judenstern«. Etwa 400 junge Freiwillige aus Warschauer Schulen wollen Menschen auf der Straße solche Blüten als Zeichen der Hoffnung auf eine bessere Welt anheften. Alicja Eckert vom Wyspianskie-Lyzeum sagte dazu: »Wir wurden auch darauf vorbereitet, dass wir Menschen begegnen könnten, die das nicht wollen und uns sogar dafür beschimpfen. Ja, auch Jugendliche. Wir wissen: Es war nicht nur so, es ist so.«

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