Proteste gegen den Tod in der »Billignähstube«
In Bangladesch ist der Textilsektor der wichtigste Wirtschaftszweig - und der mörderischste. Wegen der Fabrikbrände wächst der Widerstand
Der Einsturz des Gebäudekomplexes »Rana Plaza« am Mittwoch in einem Vorort von Bangladeschs Hauptstadt Dhaka hat die Bekleidungsindustrie Bangladeschs wieder in den Fokus gerückt. Unter den über 230 Toten und mehr als 1000 Verletzten waren sehr viele Textilarbeiterinnen. Die Bemühungen um Rettung der unter Schutt und Trümmern Eingeklemmten sowie um Bergung der Toten hielten am Donnerstag unvermindert an.
In dem mehrstöckigen Geschäftshaus produzierten auch vier Textilunternehmen. Darunter ist die Firma »New Wave«, in deren Internetauftritt 27 Hauptkunden aus Deutschland, Dänemark, Frankreich, Großbritannien, Irland, Spanien und den USA benannt sind.
Überlebende erklärten, dass sie zur Arbeit gezwungen worden waren, obwohl bereits am Dienstag Risse in der Gebäudestruktur festgestellt worden seien und die Industriepolizei die Räumung angeordnet habe. Der Eigentümer habe jedoch Ingenieure angeheuert, die alle Bedenken ausräumten. So sei den Arbeiterinnen am Mittwoch von Vorgesetzten gedroht worden, wer sich nicht an die Nähmaschinen setze, verliere seinen Job. Ein solches rigoroses Verhalten gehört zum Alltag in der Branche. Ebenso die Niedriglöhne. Gewerkschaften, wenn es sie überhaupt gibt, sind schwach.
Nach dem Großbrand im Textilbetrieb »Tazreen Fashions«, bei dem im November 2012 über 100 Menschen ums Leben kamen, war es deshalb in Dhaka zu Massenprotesten gekommen. Nach Angaben der von Amsterdam aus agierenden »Kampagne für saubere Kleidung« kamen seit 2006 bei Bränden in der Textilbranche Bangladeschs ungefähr 700 Menschen ums Leben, die Toten vom Mittwoch noch nicht mitgerechnet.
Großabnehmer wie Walmart, H&M, Sears, Gap, Tommy Hilfiger, C&A oder KiK üben nicht ausreichend Druck auf die Produzenten aus. Die Großkunden lockt Bangladesch vor allem als »Billignähstube der Welt« mit monatlichen Minimallöhnen von 37 Dollar.
Zu Recht stellte Laia Blanch von der britischen Wohltätigkeitsgruppe »War on Want« gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters fest: »Es ist furchtbar, dass führende Markenfirmen sowie Regierungen es weiterhin erlauben, dass Textilarbeiter, die in unsicheren Betrieben Kleidung für Käufer in westlichen Ländern herstellen, sterben oder schreckliche bleibende Verletzungen erleiden. Wie viele Menschen müssen noch ihr Leben verlieren, ehe Minister und Firmen diese skandalösen menschlichen Tragödien stoppen?«
In den vergangenen zehn Jahren hat Bangladeschs Textilsektor eine stürmische Entwicklung genommen, begünstigt durch steigende Löhne in China. Rund 80 Prozent aller Exportwaren kommen aus der »Billignähstube«. Das Land ist hinter China weltweit zweitgrößter Textilproduzent. Die Branche mit ein paar Millionen Beschäftigten in 5500 Betrieben verbucht einen jährlichen Umsatz von 20 Milliarden Dollar. Doch der Chef des Verbandes der Produzenten und Exporteure von Textilwaren, Atiqul Islam, sieht nicht nur wegen der von den Katastrophen verursachten Imagekrise dunkle Wolken am Horizont. Er verweist auf die 21 politisch motivierten Streiktage, die Bangladeschs Wirtschaft von Ende Januar bis zum 20. April erschütterten. Jeder Streiktag, so rechnete er vor, kostet die Bekleidungsindustrie 20 Millionen Dollar an Einbußen. Bei zahlreichen Betrieben seien die Bestellungen der Auslandskunden merklich zurückgegangen. Vietnam und Kambodscha verzeichneten hingegen Zuwächse.
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