Geschichte eines Irrwegs
Informatives Buch über »Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft«
Mit dem im Sommer 2011 verabschiedeten Ausstiegsgesetz scheint der Atomkonflikt in Deutschland, die Kontroverse um die Nutzung der Atomenergie beendet. Das Problem, so die verbreitete Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, ist im Wesentlichen erledigt. Doch der Eindruck täuscht. Noch laufen acht Reaktoren, und die geplante rasche Abfolge ihrer Stilllegung lässt schon jetzt große Auseinandersetzungen rund um die Stromversorgung befürchten. Hinzu kommt eine Reihe weiterer Probleme rund um die Entsorgung der gefährlichen Hinterlassenschaften. Und nicht zuletzt bleibt, so lange die AKW weiterlaufen, das Risiko einer großen Havarie, das durch die Alterung der technischen Anlagen noch verstärkt wird. Insofern ist die Frage, weshalb dieser kostspielige Irrweg mit seinen für viele Menschen tragischen Folgen eigentlich beschritten wurde und damit die Frage nach den politischen und wirtschaftlichen Hintergründen der deutschen Atomwirtschaft, hoch aktuell.
Radkau und Hahn setzen bei den deutschen Atomphysikern um Werner Heisenberg an, die während des Krieges versuchten, eine deutsche Atombombe zu bauen. Heisenberg hatte nicht nur herausragende Beiträge zur theoretischen Physik geleistet, sondern gehörte in den 1950er Jahren zu den eifrigsten Befürwortern der Atomkraft. Was die Motivation der einzelnen Akteure in dieser Frühzeit angeht, tragen die Autoren zahlreiche Indizien zusammen. So scheint Heisenberg über den Misserfolg beim Atombombenbau in seiner Eitelkeit als Wissenschaftler erheblich gekränkt, später aber vor allem am wirtschaftlichen Nutzen der Atomenergie interessiert gewesen zu sein. Für die vor allem vom Heisenberg-Schüler Carl Friedrich von Weizsäcker gepflegte Legende, die deutschen Physiker hätten die Bombe nicht wirklich bauen wollen und die Arbeiten daher verzögert, finden die Autoren keine Belege.
Andererseits sehen sie im Agieren des damaligen westdeutschen Kanzlers Konrad Adenauer deutliche Hinweise, dass dieser das Atomprogramm vor allem unter militärischen Gesichtspunkten sah. Vom späteren Atomminister Franz Josef Strauß ist bekannt, dass er die nukleare Bewaffnung Westdeutschlands anstrebte.
Die deutschen Energieversorger waren anfangs weniger begeistert. Sie plagte der enorme Kapitalbedarf der Reaktoren in der Bauphase. Erst als hierfür umfangreiche staatliche Beihilfen kamen, waren die Stromkonzerne mit im Boot. Und schon bald kannten sie kein Halten mehr. Hätte die in den 1970er Jahren schnell anwachsende Anti-AKW-Bewegung, deren Entstehung und Weg die Autoren ebenfalls nachzeichnen, nicht über ein Dutzend Reaktoren verhindert, wäre der Westen der Republik heute ähnlich einseitig von der veralteten Technik abhängig wie Frankreich.
Joachim Radkau, Lothar Hahn: »Aufstieg und Fall der deutschen Atomwirtschaft«, oekom Verlag, 24,95 €.
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