Yuki, Yuracaré, Zamuco
Bolivien: Durch eine Bildungsreform werden die Schulen mehrsprachig
Im Februar feierten in der Metropole La Paz hunderte Schüler, Eltern, Lehrer und Regierungspolitiker den Doppelstart. 2010 hatte Boliviens erster Indigener im Präsidentenpalast Evo Morales das neue Bildungsgesetz »Avelino Siñani-Elizardo Pérez« unterzeichnet. Mit diesem Gesetz würden Lehrer »Soldaten der Befreiung des bolivianischen Volkes«, kündigte der 53-Jährige eine »Transformation« von Schule, Universität und Ausbildung an. Der Ort der Schulbeginn-Party war kein Zufall. Gegründet im Revolutionsjahr 1952 ist der riesige Bildungskomplex »Colegio Hugo Dávila« Symbol für den Kampf um gleiche Rechte in der Geschichte der 11-Millionen-Einwohnernation.
Wurde den nicht-europäisch stämmigen Bolivianern 1952 das Wahlrecht zugestanden, so ist es heute das Bildungssystem, das vor historischen Umbrüchen steht. Bisher war Spanisch Unterrichtssprache. Ab 2013 erhalten alle 37 in der neuen Verfassung genannten Landessprachen von Aymara, Quechua bis Guaraní, Yuki, Yuracaré und Zamuco Einzug in die Klassenräume. Mehr als die Hälfte aller Bolivianer spricht eine indigene Sprache. Für mehr als ein Drittel ist nicht Spanisch Muttersprache. Geht der Plan des Bildungsministeriums auf, so erhalten alle Schüler Unterricht in Spanisch, einer Fremdsprache sowie einer »Sprache der bäuerlich originär-indigenen Nationen und Völker«. Gelingt das Vorhaben, der »Plurinationale Staat Bolivien« hätte einen wichtigen Schritt auf seinem Weg hin zu einer Gesellschaft der Vielfalt getan.
Noch gilt es Steine aus dem Weg zu räumen. Lehrerverbände warnen vor Überforderung. »Der Umfang der Maßnahme, die das ganze Bildungssystem ändern will, wird den Wirklichkeitstest nicht bestehen«, findet Federico Pinaya vom Nationalen Lehrerbund. Zu wenige der 115 000 Lehrer seien in der Lage den »Wünschen guten Willens aus dem Bildungsministerium« Folge zu leisten, warnt Pinaya. Viel kommt auf die Lehrer zu. Nicht nur dreisprachige Sprachausbildung steht auf dem Lehrplan. Neben »Bildung und Ausbildung in Gemeinschaft« in der Primar- und Sekundarstufe sollen »technisch-produktive« Lerninhalte vermittelt werden. Jeder Schüler soll in Handwerk, Technik und Landwirtschaft fit gemacht werden. Dafür aber, so die Kritiker, fehle es neben Lehrer-Fortbildung an Ausrüstung und Infrastruktur. Werkzeuge und Werkstätten seien rar.
Bildungsminister Alberto Aguilar will die Einwände nicht gelten lassen. »Was wir brauchen, damit die Reform nicht scheitert, sind Anstrengung und Berufung«, gibt sich der einstige Vize-Präsident des Verfassungskonvents von 2006 zur »Neugründung Boliviens« kämpferisch. 44 000 Lehrer hätten an Fortbildungen teilgenommen. Der Rest könnte dies in Intensivkursen nachholen. Im Grundschulbereich würden knapp 2000 Lehrer fehlen. Geld sei nicht das Problem. Über 40 Millionen US-Dollar wurden im Haushalt für die Bildungsreform zusätzlich eingestellt. Der Staat gibt heute so viel für Bildung aus wie nie. »Schritt für Schritt« werde die Unterrichtung der Landessprachen eingeführt, versucht der Minister Ruhe in die Debatte zu bringen. Startprobleme wird es in den Städten geben. Auf dem Land wird seit eh und je in der Sprache der Ur- und Ururväter gesprochen.
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