Terroristenprozess in Rostow

Wiederholt das Militär Fehler des Tschetschenienkriegs in Dagestan?

  • Irina Wolkowa, Moskau
  • Lesedauer: 3 Min.
In Rostow am Don steht einer der Führer des islamisch geprägten Untergrundkampfes im russischen Nordkaukasus vor Gericht. In Dagestan bringen derweil russische Sicherheitskräfte die Bevölkerung gegen sich auf.

Die Beweislast ist erdrückend, die Opferzahlen schockieren. Über 600 Menschen kamen bei Terroranschlägen ums Leben, die Ali Tasijew verübt haben soll. Er ist der Stellvertreter Doku Umarows, des Führers der Untergrundkämpfer im russischen Nordkaukasus. Bei dem Prozess gegen Tasijew, der am Montag in Rostow am Don begann, wird es unter anderem um das Geiseldrama in der Schule von Beslan gehen, bei dem im September 2004 über 300 Menschen starben, vor allem Kinder und Frauen. Junusbek Jewkurow, Präsident der Republik Inguschetien, forderte für Tasijew bereits lebenslänglich. Auch wenn die Todesstrafe in Russland noch vollstreckt werden dürfte, sagte Jewkurow, für den »Emir« - den politischen und militärischen Oberbefehlshaber der Guerilla - wäre das Fallbeil eine zu geringe Buße.

Jewkurow war 2009 bei einem Anschlag Tasijews selbst schwer verletzt worden und sieht den Sinn seines Lebens seither vor allem in der Terrorismusbekämpfung. Die Erfolge können sich sehen lassen. In Inguschetien ist es seither erheblich ruhiger geworden. In der Person Tasijews, der 2010 verhaftet wurde, steht zudem erstmals eine der Schlüsselfiguren der radikal-islamischen Szene Russlands vor Gericht.

Staatliche und staatsnahe Medien feiern den Erfolg mit olympischer Dimension. Extrem schwer tun sie sich dagegen mit einer anderen Meldung aus der Region: Einwohner des Dorfes Gimri in Dagestan werfen Polizei und Sondereinheiten der Armee Unverhältnismäßigkeit, Plünderungen und Gewalt gegen die Zivilbevölkerung bei einer Sonderoperation vor und verlangen Entschädigungen. 420 der insgesamt 4650 Einwohner von Gimri hatten letzten Freitag bereits entsprechende Klagen eingereicht.

Die Dorfbevölkerung war Anfang April evakuiert worden. Bei der Sonderoperation, die danach anlief und rund einen Monat dauerte, wurden ganze drei Untergrundkämpfer zur Strecke gebracht. Als die Bewohner Mitte Mai zurückkehrten, waren 36 Häuser niedergebrannt, in den restlichen hatten sich die Soldaten häuslich eingerichtet.

Die Geschädigten vermuten Brandstiftung: Damit sollten Plünderungen vertuscht wenden. Auch die Besitzer der verschonten Häuser vermissen einiges, vor allem Elektronik. Das dagestanische Innenministerium weist die Vorwürfe mit Vehemenz zurück und beschuldigt die Bewohner, mit den Untergrundkämpfern zu sympathisieren und auf Posten aus dem Hinterhalt zu schießen.

Gimri ist nach wie vor von Schützenketten umstellt, die Ortsfremden den Zutritt verwehren. Nach Einbruch der Dunkelheit tritt eine allgemeine Ausgangssperre in Kraft. Die Stimmung im Dorf, sagt der Lehrer Ashab Magomedow, der dort Verwandte hat und mit ihnen über Mobilfunk in Kontakt steht, sei nach wie vor »zum Zerreißen gespannt«. Viele machten inzwischen ihrem Unmut über die Kafiri - die Ungläubigen - mit kernigen Sprüchen auf extremistischen Websites Luft.

Gimri liegt im dagestanischen Hochland, das erst seit 1960 durch einen Tunnel, der die Hauptkette des Großen Kaukasus unterquert und gleich hinter dem Dorf beginnt, mit der weitgehend urbanisierten Ebene am Kaspischen Meer verbunden ist. In Gimri wurde der legendäre Imam Schamil geboren, unter dessen Führung sich der Nordkaukasus vor 150 Jahren gegen russische Besatzer erhob. Heute ist der Landkreis Untsukul, zu dem Gimri gehört, erneut Zentrum des islamisch motivierten Widerstands gegen Moskau. Sonderoperationen, geben daher Kenner der Materie wie Alexander Tscherkassow von der Menschenrechtsorganisation »Memorial« zu bedenken, wären nur dann sinnvoll, wenn die Dorfgemeinschaften bereit seien, mit der Staatsmacht bei der Terrorismusbekämpfung zu kooperieren. Nach Plünderungen wie beim Tschetschenienkrieg würden die ohnehin geringen Chancen dazu gegen null tendieren. nd-Karte: W. Wegener

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