Verbale Spiegelgalerie
»Ihr werdet euch noch wundern« von Alain Resnais
Von seinen ersten Bildern an spielt dieser Film mit der Geschichte. Der Geschichte der französischen Bühnenliteratur und der des französischen Films. Altmeister Alain Resnais, dessen persönliches Œuvre so unterschiedliche Werke umfasst wie »Letztes Jahr in Marienbad« und »Das Leben ist ein Chanson«, inszeniert einen Film über einen mehrfachen Abschied, und macht daraus eine Abhandlung über die Kulissenhaftigkeit des Theaters. Zwei Stücke von Jean Anouilh dienen ihm als Ausgangsbasis und Vorlage: »Eurydice« von 1942 und das Spätwerk »Cher Antoine ou l’Amour raté«. Es gibt zwei Filme im Film (einer davon inszeniert von Bruno Podalydès) und Doppel- und Dreifachbesetzungen der jeweils selben Rolle.
Ein Theaterautor und -regisseur ist tot, angeblich beim Putzen seiner Waffe getötet. Aber sein kreativer Einfluss reicht über den Tod hinaus. Vom Butler in seinem Auftrag einberufen, treffen die Darsteller seiner großen Inszenierungen in einem seiner leeren Häuser zusammen. Offiziell, um seinen letzten Willen zu hören. Tatsächlich aber, um noch einmal an einer spontanen Aufführung »seines« Stückes über Orpheus und Eurydike teilzuhaben, das in Wahrheit das von Anouilh ist. Es ist Resnais’ alte Truppe, die hier spielt, allen voran seine Frau Sabine Azéma, natürlich Pierre Arditi (nur André Dussollier fehlt), dazu Mathieu Amalric, Lambert Wilson, Anne Consigny, Hippolyte Girardot und Michel Piccoli.
Ein Pantheon der französischen Bühnen- und Filmgeschichte allein schon das. Theoretisch spielen sie alle sich selbst, diese Veteranen französischer Theater und internationaler Leinwände. Wahrscheinlich ist die Maske des eigenen Namens die vollständigste, die sie je trugen. Hier arbeiten sie sich an dem so konzeptorientierten wie formbewussten Dramatiker Anouilh ab - gefiltert durch Resnais und seine beiden Drehbuchautoren. Bald schon wechseln sie sich in mehrfacher Überlagerung mit konkurrierenden Darstellern dreier unterschiedlicher Lebensphasen in den verschiedenen Rollen ab.
Anders als Jacques Rivette - der in »Va savoir« ebenfalls ein Theaterstück spielen ließ, während dessen Darsteller neben den Lesungen und Proben ihre eigenen Händel abhandelten - setzt Resnais nicht auf die Spiegelung der Kunst im Leben, sondern setzt die Kunst selbst in all ihrer Theatralik in Szene. Es ist alles so unpersönlich und weit weg vom gelebten Leben wie nur irgend denkbar: die vielfach wiederholte Nachricht vom Ableben des Dichters und Theatermanns in immer gleichen Worten gleich zu Beginn, das inszenierte Eintreffen der Gäste in seinem Haus, das an das Aufeinandertreffen einer neuen Schauspieltruppe zum ersten gemeinsamen Lesen ihres Stücks bei Probenbeginn erinnert, die zwanghafte Kollegialität, der gesetzte Butler, der Gebrauch von Zwischentiteln wie nach einer Textvorlage.
Der politische Subtext eines Stücks, das während der deutschen Besatzung auf griechische Mythen zurückgriff, um (auch) die aktuellen Fragen zu behandeln, spielt keine Rolle mehr - ein Verlust, den Resnais nicht durch ähnlich aufgeladene Sinnstiftung ausgleicht. Seine Version von Anouilh, gespiegelt und widergespiegelt in Anouilh (der in der Fiktion des Films hinter der Person des fiktiven Dichters d’Anthac vollständig zum Verschwinden gebracht wird), ist eher elegisch, gelegentlich komisch, eine Betrachtung über die Rollen, die wir spielen. Ein Bild im Bild des Stücks, das dessen Themen der Vergänglichkeit im übertragenen wie im Wortsinn reflektiert. Das ist hochgradig artifiziell, oft entnervend repetitiv, in seinem akademisch-erzähltheoretischen, dabei zugleich auch ziemlich spielerischen Ansatz aber doch sehr französisch.
Nur die Sets, die Kulissen, vor denen sich das Drama darstellt, die sehen aus, als stammten sie tatsächlich aus der Zeit der Vorlage, auf die auch schon der Titelvorspann ästhetisch ganz bewusst zurückgreift - eine schöne Hommage an die oft leicht surrealen Höhenflüge, zu denen sich das französische Kino gerade in politisch schweren Zeiten aufschwang.
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