Das Blau der Worte
»Before Midnight« von Richard Linklater
Es gibt Filme über die Liebe, in denen viel geschwiegen und andere, in denen pausenlos geredet wird. Letztere sind dann zumeist eher therapeutische Rückholungsversuche längst verlorener Gemeinsamkeiten. Dem muss man nicht unbedingt beiwohnen. Aber es gibt Ausnahmen. In der vergangenen Woche lief von Terrence Malick »To the Wonder« an, darin liebt eine junge Frau einen Mann so sehr, dass sie ihm von Paris in die USA folgt. Weil sie so sehr liebt, tanzt und springt sie so lange pausenlos um den Geliebten herum (der schweigt verbissen), dass man beim Zusehen fast schon aggressiv wird. Was meint, schweigen und schwelgen allein schafft noch keine Poesie.
Mit »Before Midnight« beweist Richard Linklater, dass man permanent reden, räsonieren und sogar miteinander streiten kann und das Resultat trotzdem nicht nur Liebe, sondern auch ein überaus poetischer Film sein kann. Die Schleife laufenden Diskurse über den Sinn und Unsinn des Lebens und des Altwerdens, der Hochgestimmtheit und des nervenden Alltags langweilen keine Minute. Wie geht das?
Vielleicht weil Linklater seine beiden Hauptdarsteller Julie Delpy und Ethan Hawke zu Mitautoren des Drehbuchs gemacht hat. Und das nicht zum ersten Mal. Denn dies hier ist ein filmischer Langzeitversuch mit den Mitteln des Spielfilms. Wie oft kann ich das gleiche in verschiedenen Zeiten wiederholen, ohne dass es aufhört, wahr zu sein? Zum ersten Mal sah man Delpy und Hawke 1995 in »Before Sunrise«. Da trafen sich zwei Menschen mit Anfang zwanzig in Wien. Sie verbringen eine Nacht miteinander, in der sie vor allem eins tun: reden. Dann verlieren sie sich aus den Augen, um sich in einem weiteren Film wiederzutreffen »Bevor Sunset«, der 2004 in Paris gedreht wurde.
Jetzt sind sie Anfang vierzig, haben Kinder und verbringen den Sommer auf den Peloponnes in Griechenland. Jesse, der Amerikaner ist ein erfolgreicher Schriftsteller geworden, Celine, die Französin arbeitet für eine gemeinnütziges ökologisches Projekt, das sie gerade jetzt enttäuscht verlassen will. Ihre Frustration hat aber auch noch andere Gründe: die Banalitäten des Alltags, die ihre Leben bestimmen.
Es ist ein Film über die Mitte des Lebens geworden, optimistisch gerechnet. Man hat jetzt weniger vor als hinter sich. Nicht mehr man selbst steht nun allein im Mittelpunkt der eigenen Hoffnungen und Ängste, sondern immer mehr die eigenen Kinder. Die Frage, ob es richtig ist, wie man lebt, bekommt immer mehr die Kontur einer Bilanz. Jesse hat einen Sohn aus erster Ehe, der im Sommer bei ihnen in Griechenland war. Der Film beginnt am Flughafen, als der Sohn zurück in die USA zu seiner Mutter reist. Eine Szene voller gegenseitiger Fremdheit - und Jesse weiß, er wird seinen Sohn verlieren, wenn er ihn weiterhin nur einmal im Jahr sieht. Also zurückgehen in die USA? Celine glaubt diese Absicht bei ihm erkannt zu haben. Auch darum liegt Spannung in der Luft, die sich am letzten Abend des Urlaubs entladen wird.
Das Merkwürdige an diesem so überaus wortverliebten Film ist, dass man am Ende von der pausenlos strömenden Rede und Gegenrede weder genervt noch gelangweilt ist. Vielleicht liegt das daran, dass es hier um etwas geht: Kein bloßes Gezanke zweier Menschen, die sich über haben, sondern der Versuch, mit Worten zu fassen, was ihr Leben einmal war und was es jetzt ist. Auch, was es sein könnte? Immer noch gemeinsam, aber doch auch anders als damals in Zeiten der Anfänge? Das ist nicht einfach zu greifen und Linklaters Qualität als Regisseur besteht darin, dass er ein feines Gewebe aus Beziehungsfäden knüpft, in dem Enttäuschungen ebenso wie die immer noch ungelebten Hoffnungen sich gegenseitig ins Wort fallen. Und das jederzeit pointiert, dabei immer wie spontan, aus der Szene hervorspringend.
Wortverliebt? Ja, aber nicht im Sinne von nach dem grellen Effekt jagend, nicht selbstvergessen brillierend, sondern hier wohnen wir einem perfekt einstudierten Wortgefecht bei. Dieses wirkt jederzeit wie ein zufälliges Handgemenge, das einem verborgenen strategischen Planspiel folgend plötzlich wie ein großes Endspiel vor uns steht. Dieses Paar ähnelt jenen Passanten im Sinne Peter Handkes, die immer bereit sind, weiter zu gehen, wenn es anderswo etwas Neues zu sehen gibt. Ihre Beständigkeit ist aus lauter flüchtigen Sequenzen gebaut. Ein einziger lebenslanger Film, der auch dann weiterläuft, wenn keiner hinschaut. Darin liegt seine Poesie.
Es wird viel, ja pausenlos geredet, aber niemals alles gesagt. Es bleibt etwas offen. Und das mitten in der griechischen Sommerhitze, der Ägäis-Idylle eines Landes in der Krise. Wie man derartige Krisen kultivieren kann, so dass sie zwar nicht aufhören zu existieren, wohl aber ganz brutal die eigene Existenz anzugreifen, das zeigt Linklater in diesem Kammerspiel für zwei Menschen in einem von Intimitäten umschlossenen Raum, der sich ins Feindliche zu wenden droht. Aber statt Wänden sehen wir dann das Zusammenspiel von Meer und Himmel, eine Art von Blau, die im doppelten Sinne wahr ist: ebenso durchsichtig wie tief.
Verwandlung aber braucht Zeit. Wer wüsste das besser als Linklater, der in zehn Jahren vermutlich Teil vier dieser Lebensreise auf den unendlichen Fluss der Bilder gesetzt haben wird.
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