Nicht ganz frei von »braunen Flecken«

Der Fall Kopf und zwei weitere Beispiele: Teresa Nentwig über die SPD und die NS-Vergangenheit

  • Lesedauer: 7 Min.

Landauf, landab feierten die Sozialdemokraten im Mai 2013 ihr 150-jähriges Parteijubiläum. Überall wurde betont, dass die SPD stolz auf sich sein könne: stolz darauf, dass sie am 23. März 1933 als einzige der im Reichstag vertretenen Parteien gegen das von der NSDAP eingebrachte Ermächtigungsgesetz gestimmt hatte; stolz darauf, dass ihre Mitglieder selbst unter den widrigsten Bedingungen (Verfolgung unter Bismarck und Hitler) nicht aufgegeben hatten; stolz darauf, dass ihre führenden Politiker an der Gründung der Bundesrepublik mitgewirkt hatten. Diese Leistungen und Verdienste sollen an dieser Stelle keineswegs in Abrede gestellt werden. Trotzdem gilt es sich ins Bewusstsein zu rufen, dass auch die SPD nicht ganz frei von »braunen Flecken« ist.

Drei Beispiele sollen dies zeigen. Erstens: Hinrich Wilhelm Kopf, der Mitbegründer des Landes Niedersachsen und langjährige niedersächsische Ministerpräsident, betrieb seit April 1934 zusammen mit einem Kompagnon die Firma »Hinrich Wilhelm Kopf & Bohne. Vermögensverwaltungen, Grundstücke, Hypotheken, Finanzierungen« (ab Mitte 1940 »Hinrich Wilhelm Kopf & Bohne Finanz- und Immobilienmakler – Vermögensverwaltungen«). Das Berliner Unternehmen wirkte zum einen an der »Arisierung« der deutschen Wirtschaft mit; zum anderen verdienten Kopf und sein Geschäftspartner Edmund Bohne an den Notverkäufen von Häusern auswandernder Juden sowie an der Verwaltung von Immobilien jüdischer Eigentümer.

Während des Zweiten Weltkrieges war Kopf dann in Oberschlesien ein effizienter, überaus engagierter Mitarbeiter einer nationalsozialistischen Behörde, der »Haupttreuhandstelle Ost« (HTO). Die HTO, die im Oktober 1939 durch einen Erlass Hermann Görings gegründet worden war, verfolgte die wirtschaftliche »Germanisierung« Polens; eingebettet war dieses Ziel in die NS-Rassen- und Bevölkerungspolitik. Zusätzlich arbeitete Kopf für die Grundstücksgesellschaft der HTO (GHTO). Diese war für die Erfassung, Verwaltung und Veräußerung des städtischen Haus- und Grundbesitzes in den »eingegliederten Ostgebieten« zuständig. In der Nachkriegszeit behauptete Kopf – entgegen der Wahrheit –, er sei niemals Treuhänder polnischer oder jüdischer Güter gewesen.

Sowohl bei der HTO als auch bei der GHTO übte Kopf leitende Positionen aus. Er enteignete jüdische und nicht-jüdische polnische Staatsbürger, das heißt er beschlagnahmte deren Besitz (zum Beispiel Geschäfte und Fabriken), ließ ihn kommissarisch verwalten und verkaufte ihn dann an Deutsche. Auf diese Weise verlor etwa der Pole Karl Widera sein Tabakwarengeschäft in Loben (heute: Lubliniec). Es gibt zahlreiche Beispiele, die zeigen, wie sehr Kopf bei den Enteignungen nach Effizienzkriterien handelte und moralische Erwägungen mitunter hintenanstellte.

1948 – Kopf war mittlerweile seit zwei Jahren niedersächsischer Ministerpräsident – stand seine politische Karriere dann auf Messers Schneide – denn nun holte ihn seine Vergangenheit ein. Die polnische Regierung warf dem Ministerpräsidenten vor, während des Zweiten Weltkrieges für Deportationen in Konzentrationslager sowie für die Misshandlung von Untergebenen verantwortlich gewesen zu sein und sich an Gütern aus polnischem und jüdischem Besitz bereichert zu haben. Bereits im November 1947 hatte sie daher Kopfs Namen auf die UN-Kriegsverbrecherliste setzen lassen. Im Januar 1948 reichte die polnische Regierung dann bei dem britischen Teil der Kontrollkommission – Niedersachsen gehörte damals zur britischen Besatzungszone – einen Antrag auf Auslieferung ein.

Die Engländer ließen den »Fall Kopf« vom Obersten Gerichtshof der Kontrollkommission (Britischer Teil) in Herford untersuchen. Für den niedersächsischen Regierungschef endete das von Eigentümlichkeiten gekennzeichnete Verfahren glimpflich: Bereits Ende Mai 1948 teilte die Kontrollkommission der zuständigen Polnischen Kriegsverbrecher-Mission mit, dass die Beweise gegen Kopf nicht ausreichten, um seine Auslieferung als Kriegsverbrecher zu rechtfertigen, und dass er deshalb auch nicht den polnischen Behörden übergeben werde.

Kopf blieb also im Amt, zunächst bis zur Landtagswahl 1955. Nach einem Intermezzo des bisherigen Bundesministers Heinrich Hellwege an der Spitze Niedersachsens konnte er 1959 noch einmal den Ministerpräsidentensessel erobern – und blieb Regierungschef bis zu seinem Tod Ende 1961.
Ein zweites Beispiel für die »braunen Flecken« in der SPD kommt aus Hessen: Die kürzlich veröffentlichte Studie »NS-Vergangenheit ehemaliger hessischer Landtagsabgeordneter« zeigt, dass unter den 164 bis 1928 geborenen SPD-Abgeordneten im Hessischen Landtag insgesamt 24, das heißt 14,6 Prozent, Mitglied der NSDAP waren. Gewiss: Es müssen immer die individuellen Umstände und Motive berücksichtigt werden, unter denen jemand Mitglied der NSDAP wurde. Auch ist die Zugehörigkeit zur NSDAP kein hinreichendes Kriterium, um eine ideologische Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus zu unterstellen. Doch letztlich unterstützte und förderte jede NSDAP-Mitgliedschaft das NS-Regime, sei es auch nur »formal«.

Einer dieser 24 sozialdemokratischen Landtagsabgeordneten, die der NSDAP angehört hatten, war Walter Klaus Köbel. Im Auftrag der Stadt Rüsselsheim, deren Bürgermeister Köbel von 1954 bis zu seinem Tod 1965 war, hat die Historikerin Sabine Kühn die Vergangenheit des SPD-Mitglieds untersucht. In ihrer Studie, die Anfang 2013 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, kommt Kühn zu einem eindeutigen Ergebnis: »Während der NS-Zeit demonstrierte Köbel vielfach und auf unterschiedliche Art und Weise eine Nähe zum NS-Regime. Seine ideologische Übereinstimmung mit dem Nationalsozialismus ist nicht zu leugnen. […] Nach allem, was wir wissen – das heißt nach allem, was sich heute ermitteln lässt – war Köbel nicht an nationalsozialistischen Verbrechen beteiligt. Aber eine NS-Belastung erschöpft sich nicht in kriminellem Handeln. Das nationalsozialistische Regime konnte sich nur etablieren und seine Politik des Terrors und der Gewalt durchführen, weil Funktionsträger auf allen Ebenen von Staat und Gesellschaft das System stabilisierten und sich aktiv für es einsetzten. Zu der großen Gruppe dieser zumeist ideologisch überzeugten Funktionsträger ist auch Walter Köbel zu rechnen.« Mittlerweile wurde bereits die Rüsselsheimer Walter-Köbel-Halle in »Großsporthalle Rüsselsheim« umbenannt.

Schließlich ein drittes Beispiel für die »braunen Flecken« in der SPD: Herbert Kriedemann hatte seit 1930 als Angestellter im SPD-Parteivorstand gearbeitet und nach der nationalsozialistischen Machtergreifung die Aktivitäten der Exil-SPD (»Sopade«) in Prag mitorganisiert. Nachdem er sich mit dem Exil-Parteivorstand überworfen hatte und Zweifel an seiner Vertrauenswürdigkeit aufgekommen waren, wurde Kriedemann im Juli 1935 entlassen. Ein Jahr später gelang es dem für die Verfolgung der Sopade zuständigen Gestapo-Kommissar Bruno Sattler, den Sozialdemokraten als V-Mann anzuwerben. Fortan ließ Kriedemann der Gestapo Informationen über die Arbeit der Exil-SPD zukommen und denunzierte frühere Genossen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg machte Kriedemann dann eine bemerkenswerte politische Karriere: Mitglied des Hannoverschen Landtages, Mitglied des Niedersächsischen Landtages, Mitglied des Zonenbeirats und des Wirtschaftsrates für das Vereinigte Wirtschaftsgebiet, Mitglied des SPD-Parteivorstands, langjähriger Bundestagsabgeordneter, Mitglied des Europäischen Parlaments und zuletzt Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion.

Seine Tätigkeiten während der NS-Zeit müssen zwar differenziert betrachtet werden, denn Kriedemann spielte ein doppeltes Spiel. So arbeitete er auch für den britischen Nachrichtendienst und wurde dafür vom Volksgerichtshof verurteilt. Doch er war ganz eindeutig ein »erfolgreicher V-Mann« – mit dem Ergebnis, dass sich die Verurteilungen als äußerst milde erwiesen: Nach der Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren Ende Oktober 1941 wurde Kriedemann bereits mehrere Wochen darauf, Anfang Januar 1942, aus der Haft entlassen. Für seine Kontakte mit dem englischen Nachrichtendienst erhielt er wenig später eine dreijährige Gefängnisstrafe, blieb aber auf freiem Fuß – vergleichbare Delikte bestrafte dasselbe Gericht mit dem Todesurteil.

Obwohl es nach dem Zweiten Weltkrieg Vorbehalte gegen Kriedemann gab – unter anderem bei dem damaligen Pressechef der SPD Fritz Heine –, stieg er schnell zum Vertrauten des von der KZ-Haft gezeichneten Kurt Schumachers auf, den er in einem stundenlangen Gespräch davon überzeugt hatte, Gegner des NS-Regimes gewesen zu sein. Auch ein parteiinterner Untersuchungsausschuss kam 1948 zu dem Ergebnis, dass es keine Gründe für ein Misstrauen gegen Kriedemann gebe. Als dann die KPD im Bundestagswahlkampf 1949 Dokumente publizierte, die ihn schwer belasteten, hielt die SPD weiterhin an ihm fest. Zum einen wollte man das Gesicht wahren, zum anderen »ging man in unseren Vorstellungen wohl davon aus, daß alles, was von kommunistischer Seite behauptet wurde, von vornherein gelogen sei«, wie Fritz Heine später erklärte. Sowohl Hinrich Wilhelm Kopf als auch Herbert Kriedemann äußerten sich später nicht mehr zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen. »Das alles ist ein Haufen von Charakterlosigkeit; und peinlich für die Partei«, urteilte Fritz Heine nachträglich in Bezug auf den Fall Kriedemann.

Die österreichischen Sozialdemokraten haben vor mehreren Jahren ein Forschungsprojekt angestoßen und Wissenschaftler die NS-Vergangenheit ihrer Partei aufarbeiten lassen. Die hier geschilderten Fälle, aber auch weitere Beispiele werfen die Frage auf, ob nicht auch die SPD Grund hätte, sich den nicht so angenehmen Seiten ihrer Vergangenheit zu stellen.

Dr. Teresa Nentwig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Göttinger Institut für Demokratieforschung. Soeben ist ihr Buch »Hinrich Wilhelm Kopf (1893–1961). Ein konservativer Sozialdemokrat« erschienen. Ihr Text zur Vergangenheit von Sozialdemokraten erschien zuerst im Blog des Göttinger Instituts für Demokratieforschung.

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