Schnickschnack
Paul Abrahams »Ball im Savoy« an der Komischen Oper Berlin
Gürtellinien sind schöne Linien. Sie trennen und führen zusammen. Die Zonen kurz oberhalb und kurz unterhalb sind bekanntlich die begehrtesten. Für männliche Augen und Hände wohl zuallererst. Die Komische Oper hat nun »Ball im Savoy« als Novität im Programm. »Liebe, Sex und Paso Doble«, so die Werbezeile, ganz auf Bedürfnisse getrimmt, wie Menschen sie lieben.
Paul Abrahams »Jazz-Operette« von 1932 indes, die Hitleriten palaverten offen über Krieg, Befreiung vom Joch Versailles etc., ist maskulin angelegt, obwohl im zweiten Teil etwas feministisch eingefärbt, frei nach Brecht/ Weills Polly: Wo du hingehst, geh auch ich hin; hier: Wo du mich betrügst, betrüg auch ich dich. Fast alle Auftretenden haben französische Namen, je nach Hut, Handschuhchen, Füßchen und Bärtchen parlieren, singen, juchzen sie deutsch, englisch, arabisch. Das Milieu ist überseeisch-europäisch-orientalisch, jedoch tiefsitzend darin das Deutsche. Die Krise feiert Urständ. Und wie begegnet die Bühne dieser Unbill? Seinerzeit wie jetzt? Sie heiligt die Schrullen der Liebe, sie stopft die Ohren mit Sentiment, sie verbildlicht Lebensfreude der schäbigsten Art. Murrt da etwa noch jemand?
Klanglich ist das Stück ein »Sturmwind«, wie es einst hieß. Von »wilder Bühne« sprachen die Nichtwilden. Tatsächlich. Abraham, ungarisch-jüdischer Herkunft, wirft nur so um sich mit Floskeln aus Jazz, Fox, Waltz, Shimmy, bedient Volks- wie Johann Strauß'sche Tonfälle, auch die heimatliche Folklore. Die Inszenierung und musikalische Umsetzung, sie bietet die Urfassung an, kostet das weidlich aus.
Türkisches Flair umgibt die Songs des Mustafa (Helmut Baumann). Billiges, Obszönes entfährt der agilen Daisy Darlington, Jazzkomponistin, Herrin der Intrigen im Hotel Savoy, bis zum Überdruss. Wenn das Weib singt und schamlos parliert (Katherine Mehrling), klappen die Ohren auf. Differenzierter die Madeleine der Dagmar Manzel. Die hat mindestens ein Dutzend Register auszuführen und tut das so sicher wie leidenschaftlich. Eine tolle Rolle, Lichtblick des Abends. Etwas blässlich, allzu tölpelhaft Christoph Späth als ihr Ehemann Marquis Aristide. Der knutscht sich mit der dicken Polin Tangolita (Agnes Zwierko), als fehlte ihm der siebte Sinn.
Austragungsort des wechselseitigen Betrugs ist der Ball im Savoy. Der Marquis geht hin, weil ein Liebesversprechen mit der Dicken einzulösen ist, Madeleine geht hin, um mit einem Trottel von Mann ihrem säuischen Angetrauten zu beweisen, dass sie es auch kann. Eine Hotelzimmerwand trennt Fremdgeher und Fremdgeherin. Tohuwabohu. Taten sie es wirklich? Diese so heiße wie beliebte Frage beschäftigt nach der Pause das gesamte Tingeltangeltableau der Oper. Wer wollte sich da noch verdrießlich abwenden?«
Der Fahrstuhl fährt, wenn die Nummern laufen, auf, zu, rein, raus. Ausschwingend der Saal mit den Podesten und Eingängen. Von dort strömt die Tänzercrew zur Mitte, bereit, den Ball überkochen zu lassen. In anderer Art geschäftig die Schar der Kellnerinnen und Kellner. Archibald und Bébé, Bedienstete des verwirrten Ehepaars (Christiane Oertel, Peter Renz), singen das rührendste Duett der Aufführung. Da kommt so etwas wie wirkliche Innigkeit rüber, obwohl die Musik scheußlich sentimental klingt. In Schüben belfert der Revue-Krach mit seinen choreografischen Attacken.
Was wollt ihr mehr? Jazzige Buntheit, quirlige, freche, rüde, rauchige Songs. Erotik stößt Regisseur Barrie Kosky aus wie die Auspüffe ihre hohen CO²-Werte. Glückhafte türkische Vielweiberei wider die Trostlosigkeit deutscher Monogamie, so könnte die Inszenierungsformel lauten. Beides hat seinen Preis und beides obsiegt zu guter Letzt. Die beiden Hauptpaare, von Intrige und Eifersucht getrieben, diese selbst auslösend, finden natürlich wieder zusammen. Das hat Saft. Das atmet Freiheit. Das lenkt den Blick.
Die türkischen Regierungsbodys prügeln in Istanbul gerade den Aufschrei der Massen nieder - gepriesen seien die Instrumente der Macht - und plötzlich merkt der mannhafte Deutsche, dahinter können doch nur die sechs, sieben Frauen, ehelich an die Polizisten gefesselt, stecken, nicht mehr bereit, sie ranzulassen. Die hecken das aus. Ja. Ihre Männer sollen ihre Energien mal woanders abladen und den Pöbel richtig Maß nehmen, mit Stange, Flinte, Wasserwerfern. Unzumutbar für die Macher indes, solche Schnüre zu werfen und anzuzünden.
Unter Kosky blieb das Ganze stockbürgerlich, Schnickschnack aus Liebesschwüren, lächerlichen Intrigen, Arabica-Schmalz, nervenden Viervierteln, schmierigen Walzern, geäfften Hawaigitarren usf. Schweigt das Orchester (Leitung des völlig unterforderten Klangkörpers der Komischen Oper: Adam Benzwi), ist es auf dem Niveau seines eigentlichen Könnens. Kosky hält sich an den alten Schinken, den er wieder aufmöbeln ließ. Krise damals, Krise heute. Genau in die Kerbe stößt die Aufführung, inszeniert als verlogene, wirklicher Liebe hohnsprechende, Musikalität beschämende Megashow. Operette = schlecht? Nein. Schlecht oft, was aus ihr gemacht wird.
Nächste Vorstellungen: 12., 15.6.
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