American Angst

»The Purge« von James DeMonaco und »Olympus has fallen« von Antoine Fuqua

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 5 Min.

Wie diszipliniert man die Bevölkerung, wenn die realen äußeren Feinde fehlen? Die Administrationen der USA haben sich darüber seit 1945 den Kopf zerbrochen und verschiedene Ersatzkriege als Bedrohungsquellen ausgerufen. Der »Kalte« wurde gewonnen. Die gegen den Terror und gegen die Drogen werden noch eine Weile toben. Einerseits sind sie sehr teuer und haben dadurch entsprechend viele Profiteure und Fürsprecher. Andererseits funktionieren sie: Die Menschen gewöhnen sich im Schatten der Terrorangst noch an die skandalösesten Zustände.

Als Spiegel (und weitere Quellen) jener in weiten Bevölkerungsteilen erfolgreich etablierten »American Angst« fungieren nun zwei Thriller, die unterschiedlicher nicht sein können: der kleine, fiese Zukunftsschocker »The Purge« und der aufgeblasene Patriotenreißer »Olympus has fallen«. Gemeinsam haben die Filme jedoch das Grundmotiv der »Home Invasion«, also des Eindringens des »Bösen« ins eigene bzw. das Weiße Haus. Auch die Botschaften ähneln sich: Sei stets auf der Hut und rüste dich privat und militärisch auf.

Diese Aussage wird in »The Purge« jedoch konsequent satirisch gebrochen. Unterm Strich macht natürlich auch dieser Horrorfilm Angst. Absurderweise aber vor den erheblich realeren Gefahren als der irreführend »Polit«-Thriller genannte »Olympus«.

Die Theorien von der Terror- und Drogenbedrohung stützen auch die mittlerweile etablierte These, die heutigen Gefahren für den Weltfrieden gingen nicht mehr von den großen Armeen aus, sondern von verzweifelten Kleinstkommandos - auch wenn es immer noch merkwürdig anmutet, dies aus dem Munde Kommandierender zu hören, deren Armee gerade Irak und Afghanistan heimgesucht hat. Den Erfolg der Strategie der Angst kann man an einer aktuellen Umfrage der »Washington Post« ablesen. Demnach finden 56 Prozent die jüngst bekannt gewordenen Überwachungspraktiken akzeptabel, wenn damit gegen »die Terrorgefahr« vorgegangen wird.

Dass diese Terrorgefahr auch für den einzelnen (zivilen) US-Amerikaner entgegen der Statistik permanent höchst real ist und dass ein verschworenes Team nicht nur blutige Nadelstiche setzen, sondern tatsächlich einen militärischen Coup mit Langzeitwirkung erzielen kann - das möchte uns »Olympus has fallen« von Antoine Fuqua weismachen. Der tiefstaplerische Codename für das Präsidentendomizil, das unerhört und handstreichartig erobert wird, deutet jedoch schon an, mit wem sich die nordkoreanischen Extremisten hier anlegen. Zwar zeigt der Film auch eine schwerfällige, vom Einfallsreichtum der Desperados überrumpelte US-Militärmaschine. Doch selbst solch kritische Untertöne richten sich im Film nicht gegen das Militär, sonder den Staat, erhalten also einen neoliberalen Unterton: Seht her, wie dieses teure und unnütze Gemeinwesen nicht mal sein wichtigstes Symbol schützen kann.

Wenn aber ein todbringendes Flugzeug als Ablenkung über Washington DC dahinfegt, gleichzeitig kaltblütige Selbstmordattentäter den Weg zum Weißen Haus freibomben, strategisch platzierte Trucks die nahende Abwehr blockieren, wenn Kamikaze-Terroristen sich am Boden in Marsch setzen und Meter um Meter des Präsidentenrasens erkämpfen, wenn die parallel innerhalb des Weißen Hauses ablaufenden Notfall-Abläufe bekannt und minutiös in die ausweglosen Pläne eingearbeitet sind - dann wird man Zeuge, wie ein militärischer Geniestreich eiskalt exekutiert wird. Das ist schockierend. Und mitreißend.

Insgesamt aber fügt sich die Botschaft des Films perfekt in die Angst- und Rechtfertigungskultur eines reaktionären Teiles Hollywoods ein. Und auch als Entertainmentspektakel funktioniert die Produktion nicht. Zwar gehören die 19,5 Minuten, die die Erstürmung des US-amerikanischen »Olymps« dauert, zur bestgetimten Action seit langem. Danach allerdings kann man getrost nach Hause gehen. Der Film, der früh seinen Höhepunkt erreicht, steigt dann nur noch ab - bis er sich auf dem Niveau eines so altmodischen wie pathetischen Ego-Shooters einpendelt, in dem Gerard Butler als Secret-Service-Agent im Alleingang das Weiße Haus aufräumt.

Erheblich mehr Spannung und Intelligenz mit einem Bruchteil des Budgets entfaltet (trotz Schwächen) »The Purge« von James DeMonaco, der die »Home Invasion« von der Weltbühne des »Olympus« ins Wohnzimmer der Oberschichten holt. In der zynischen Zukunftsvision hat ein christlich verbrämtes, neoliberales Regime, das an eine radikale Ausprägung der Tea-Party-Bewegung erinnert, einen Weg gefunden, die Unproduktiven aus der Gesellschaft zu entfernen: Einmal im Jahr werden für zwölf Stunden die Schleusen zu den menschlichen Abgründen geöffnet. Dann ist »Purge-Day« und man darf straffrei mordend durch die Stadt ziehen, staatliche Institutionen wie Polizei und Krankenhäuser stellen den Dienst ein. Wer es sich leisten kann, verschanzt sich in wahren Trutzburgen. Wer nicht, ist Freiwild für den schwer bewaffneten, blutdürstigen Mob.

Von der Regierung wird diese perverse Rückkehr zum Recht des Dschungels als Katharsis und Therapie verkauft (»Purge« = »Säuberung«). In Wahrheit erklärt das martialische Ritual in salbungsvollen Worten die Armen zum Freiwild. Deren massenhafter Tod wirkt sich dann allerdings positiv auf die Sozialsysteme und Arbeitslosenstatistiken aus.

Beim aktuellen »Purge-Day« jedoch wandert die Gewalt außerplanmäßig in eine der eingezäunten Edel-Nachbarschaften. Eine Gruppe verwöhnter und sadistischer Oberklasse-Kids will um alles in der Welt einen Obdachlosen foltern, der sich in eines der verbarrikadierten Domizile geflüchtet hat. Schon bald ist Suburbia belagert von einer Truppe so eiskalter wie intelligenter Psycho-Freaks.

An große Genrevorbilder wie Michael Hanekes »Funny Games« kommt der in den USA kolossal erfolgreiche Schocker nicht heran. Aber er verfolgt einen radikalen Ansatz, der zeigt, welche Auswirkungen eine Abschaffung des Staates haben könnte, die in den USA von nicht wenigen Politikern lautstark gefordert wird.

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