Spitzenforscher müssen draußen bleiben
Spaniens Wirtschaftskrise wirkt sich immer stärker auf das Bildungs- und Wissenschaftssystem aus
Nuria Martí Guitérrez ist eine der Wissenschaftlerinnen, die im amerikanischen Oregon am Klonen von Stammzellen mitgewirkt hat. Ihre Heimat Spanien musste sie 2011 verlassen, weil Forschungsmittel zusammengestrichen wurden. Auch der Antrag auf ein Stipendium von Diego Martinez wurde abgelehnt.
Der Fall des jungen Martínez zeigt besonders deutlich, wie mit Talenten in Spanien umgegangen wird. Denn das Forschungsministerium in Madrid hat ausgerechnet den Antrag auf ein einjähriges Stipendium »Ramón y Cajal« des Spaniers abgelehnt, der von der European Physical Society (EPS) vor wenigen Wochen als bester junger Experimentalphysiker Europas ausgezeichnet wurde. Ende Juli wird der Galicier den Preis in Stockholm entgegennehmen. Das entschädigt ihn dafür, nicht wie geplant, in die Heimat zurückzukehren zu können, wie es der 30-Jährige aus Foz vorhatte. Schon seit drei Jahren arbeitet er im Ausland, zunächst am Europäischen Kernforschungszentrum CERN bei Genf und nun am angesehenen Forschungszentrum für subatomare Physik (Nikefe) in Amsterdam. Für seine Arbeit am CERN, wo mit dem weltweit größten Teilchenbeschleuniger der Aufbau der Materie erforscht wird, wurde er von der EPS ausgezeichnet.
Über Stipendien sollen eigentlich erfolgreiche Nachwuchswissenschaftler in die Heimat zurückgelockt werden. Doch anders als die EPS, ein Zusammenschluss von 38 europäischen Physikalischen Gesellschaften (EPS), kam man in Madrid zum Ergebnis, dass Martínez bestenfalls mittelmäßig ist. Deshalb reichte es nicht einmal dafür, auf die Warteliste zu kommen. Im Interview mit der großen Tageszeitung »El País« erklärte er, im Ablehnungsschreiben sei seiner Forschung »mangelnde internationale Bedeutung« und ihm »fehlende wissenschaftliche Führungskraft« bescheinigt worden. »Das ist nicht gerechtfertigt«, erklärte er. »Im Lebenslauf gab es mehr als genug Information auch über meine Rolle als Koordinator internationaler Gruppen«.
Der spanische Vertreter am Cern hält es für »unverständlich«, dass er als »unterdurchschnittlich« eingestuft wurde. Carlos Pajares hat zwei Erklärungen. »Entweder hat die Prüfungskommission seinen Lebenslauf nicht richtig angeschaut oder es wurden ältere Forscher bevorzugt«. Für Juan José Saborido Silvia, bei dem Martínez an der Universität von Santiago de Compostela studierte, ist eines klar: »Eine Person mit einer ernsthaften internationalen Reputation wird in Spanien nicht wertgeschätzt«.
Dass bei der Auswahl Vetternwirtschaft eine Rolle gespielt haben könnte, wird unter der Hand angesichts des verbreiteten Phänomens nicht ausgeschlossen. Ein weiteres Problem ist, dass die konservative Regierung die Ausgaben für Forschung und Entwicklung (FuE) massiv zusammengestrichen hat. Seit dem Wahlsieg von Mariano Rajoy 2011 wurden besonders große Scheren an Bildung, Forschung und Entwicklung angesetzt. Geld für Forschungsprojekte wurde allein 2012 gegenüber dem Vorjahr um 17,5 Prozent gekürzt.
Doch schon 2011 gab Spanien nur 1,33 Prozent der Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung (FuE) aus und lag schon damals deutlich unter dem EU-Durchschnitt von knapp zwei Prozent. Deutschland kam mit fast 2,9 Prozent fast auf den Wert, den Spanien bis 2010 erreichen wollte, um den Verpflichtungen aus dem Lissabon-Vertrag nachzukommen, in dem FuE als »Grundlage für Wachstum und Beschäftigung« bezeichnet wird. Das fordern Wissenschaftler in Spanien immer wieder auf der Straße ein. Sie warnen vor einem »Kollaps« und der »Zerstörung« dessen, »was in Jahrzehnten« aufgebaut worden sei. Sie kritisieren, dass Spanien sich auf diesem Kurs die Zukunft verbaut, weil die schlauen Köpfe abwandern.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.