Jet-Sex
»Fliegende Liebende« von Pedro Almodóvar
Poppig bunt wie seine frühen Werke ist dieser neue Film des spanischen Regisseurs Pedro Almodóvar ja, ebenso musik-verliebt und stellenweise ziemlich zügellos - auch gern mal zügellos albern. Die Figuren haben die Comic-Haftigkeit aus Almodóvars besten Zeiten, und sie werden gespielt von Schauspielern, die damals auch schon mit dabei waren. Im Wörtchen »damals« aber liegt auch das Problem des Films. Ein Film wie aus Almodóvars alten Tagen will dies sein, so laut, so vierdimensional, so tabu-frei und so melancholisch-fröhlich. Und übersieht dabei, dass sich die Zeiten, in denen das nach den Jahrzehnten des Frankismus neu war und ganz wunderbar erfrischend, als Almodóvars Stil weltweit einmalig war und deshalb auch außerhalb Spaniens so rasend erfolgreich - dass diese Zeiten sich mittlerweile erledigt haben. Spanien ist in Europa angekommen und inmitten der Finanzkrise gelandet, die Probleme sind andere - und die Ästhetik ebenso.
Weshalb man leider sagen muss, dass Almodóvars neuester Film etwas von einem Spätwerk hat, mit dem ein Regisseur krampfhaft an die Erfolge seiner frühen Jahre anknüpfen möchte. Hier wirkt schal und altbacken, was früher prickelnd war und unerwartet. Als Beleg sei die klamaukige Tanzeinlage dreier schwuler Flugbegleiter zur Begleitung des Hits der Pointer Sisters »I’m So Excited« zitiert. Die würde sich gut in einer kommentierten Fernsehshow zu den ästhetischen Sünden der Zeit ausmachen, als »Ein Käfig voller Narren« erste Erfolge feierte.
Hier aber zunächst die Fakten: Ein Passagierflugzeug einer fiktiven Fluglinie namens Peninsula/»Halbinsel« (gemeint ist Spanien, im natürlich rein übertragenen Sinne) fliegt von Madrid nach Mexico City. Nur wird es dort nie ankommen, weil der Bremsklotz noch am Fahrwerk hängt und es blockiert.
Eine Notlandung ist bereits geplant, für die aber findet sich gerade kein Flughafen. Also dreht man im Himmel über Spanien Endlosschleifen und setzt erst einmal die Economy-Passagiere mittels angereicherter Erfrischungsgetränke außer Gefecht, damit an Bord keine lästige Panik ausbricht - und damit Almodóvar sich auf die Crew und ein paar Business Class-Passagiere konzentrieren kann. (Aber natürlich auch, weil »Economy« ja Wirtschaft heißt und es mit der in Spanien derzeit auch nicht so toll aussieht.)
All das ist schon passiert, als der Film so richtig einsetzt, nur erfährt der Zuschauer das erst nach und nach. Zunächst wundert er sich über den regen Alkoholkonsum unter den Flugbegleitern (und Piloten!), aber nach Denzel Washingtons jüngster Tour de Force als koksender, dauerbetrunkener Flugkapitän in Robert Zemeckis’ Drama »Flight« kommt so etwas zumindest im Kino nicht mehr völlig unerwartet.
Dabei war man gleich zu Beginn sogar dabei, als das Versehen mit dem Bremsklotz passierte, zurückzuführen auf menschliches Versagen. Oder auch nicht - denn möchte man den Fakt, dass ein werdender Vater vor Freude über das Baby glatt den Bremsklotz hängen lässt, wirklich menschliches Versagen nennen? Aber da war man von der Starbesetzung zweier Mini-Rollen planmäßig noch derart abgelenkt, dass man dem Bremsklotz keinen zweiten Blick gönnte. Auch später an Bord wimmelt es von Almodóvar-Altgedienten: von Javier Cámara, dem Vergewaltiger komatöser Ballerinen aus »Sprich mit ihr« über Lola Dueñas (u.a. »Volver«) bis zu Cecilia Roth (»Alles über meine Mutter«). Und neben Alkohol und Drogen kommt während der wiederholten Spanienüberflüge vor allem das Reden über Sex dort nicht zu kurz. Bei dem’s nicht bleibt.
Alle Frauen sind Huren oder Jungfrauen - nur eine einzige schwebt, vom eigenen Bräutigam im Drogenrausch missbraucht, ohne ihr Wissen irgendwo zwischen den sexuellen Klischees auf ihrer eben erst angetretenen Hochzeitsreise. Alle Männer, ob schwul (die gesamte Crew) oder hetero (alle Passagiere) sind nahezu exklusiv - und teils sogar beruflich - mit Sex befasst. Liebe kommt am Rande auch ins Spiel, ist aber lange nicht so dominant wie der deutsche Verleihtitel suggerieren möchte.
Korrupt sind sie alle, allen voran der Bankier und Geschäftemacher, der auf dem Flug nach Mexiko ist, um sich vor der Verantwortung für einen Großkonkurs zu retten. Und natürlich, zumindest in sexuellen Belangen, die gesamte politische Kaste Spaniens, Königshaus inbegriffen - zumindest wenn man den Andeutungen der mitfliegenden Domina für betuchte Kreise glauben möchte.
Der Konkurs des öffentlich geförderten, aber an der Realität vorbeigeplanten und nun geschlossenen Bauboom-Flughafenneubaus Ciudad Real ist allerdings auch jenseits der Leinwand gelebte und gebaute Wirklichkeit. Kommt einem irgendwie bekannt vor.
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