Wo ist das Sonnensystem zu Ende?

Die US-Sonde »Voyager 1« erweitert unser Wissen über die Grenzen zum interstellaren Raum

  • Dieter B. Herrmann
  • Lesedauer: 4 Min.

Die US-amerikanische NASA-Sonde »Voyager 1«, die 1979 für sensationelle Bilder der Planeten Jupiter und Saturn sorgte, habe die Grenze unseres Sonnensystems erreicht und bewege sich in den interstellaren Raum hinaus, konnte man in den letzten Jahren wiederholt lesen. Doch prompt folgten jedes Mal die Widerrufe. Kürzlich haben sich Wissenschaftler des Voyager-Projekts mit neuen Messergebnissen zu Wort gemeldet, um endlich Klarheit zu schaffen.

Doch wo endet eigentlich unser Sonnensystem? Ein Hinweisschild werden wir nirgends finden. Früher sprach man gern von der Bahn des Planeten Pluto als der äußeren Grenze des Systems. Heute gilt Pluto als Zwergplanet, der sich im Kuiper-Gürtel tummelt, in dem es unzählige weitere Körper gibt, die sich unter dem Einfluss der Sonnengravitation bewegen. Noch weiter draußen, in etwa 100 000-facher Entfernung der Erde von der Sonne (AE), bewegen sich Milliarden von kleinen Eiskörpern in der (hypothetischen) Oortschen Wolke. Liegt also dort die tatsächliche Grenze des Sonnensystems? Im ersten Fall wäre »Voyager 1« längst draußen, denn die Sonde ist gegenwärtig 18,6 Milliarden Kilometer von der Sonne entfernt, Pluto hingegen nur etwa 6 Milliarden Kilometer. Auf dem Weg zur Oortschen Wolke hat die Sonde allerdings nur reichlich ein Tausendstel des Weges hinter sich.

Die Wissenschaftler des Voyager-Projekts definieren die Grenze des Sonnensystems allerdings ganz anders und beziehen sich dabei auf die sogenannte Heliosphäre. Unsere Sonne ist nämlich von einer gigantischen Blase aus geladenen Teilchen umgeben, die sie selbst erzeugt und als Sonnenwind in den Raum hinaus bläst. In dieser Heliosphäre bewegen sich Elektronen, Protonen, Heliumkerne und andere Teilchen einschließlich ihrer mitgeführten Magnetfelder mit hohen Geschwindigkeiten und schirmen so das Sonnensystem gegen große Teile der kosmischen Strahlung aus dem interstellaren Raum ab. Auch die Planeten selbst befinden sich in dieser Blase aus geladenen Teilchen. Über die Dimension und Struktur der Heliosphäre weiß man allerdings noch längst nicht alles. In ihrem Inneren - so die inzwischen durch Messungen bestätigte Vorstellung - verdrängt der Sonnenwind das interstellare Gas vollständig. Doch weit draußen endet der Einfluss des Magnetfelds der Sonne (Heliopause) und der Sonnenwind wird durch das interstellare Gas abgebremst, es kommt zu einer Schockfront (Bow Shock). Zuvor aber gibt es eine Zone, die als Heliosheath bezeichnet wird und in der gleichsam der Einfluss des interstellaren Mediums bereits spürbar wird, was in einer Verlangsamung der Teilchen des Sonnenwindes zum Ausdruck kommt. Diese Zone hatte »Voyager 1« bereits im April 2010 in einer Distanz von 113,5 AE erreicht. Und wo befindet sich die Sonde gegenwärtig? Hier geben die Messdaten der Sonde jetzt neue Auskünfte. Bereits im Juli 2012 hatte die Sonde demnach eine bis dahin unbekannte Region erreicht, der die NASA-Forscher den Namen »magnetische Schnellstraße« (magnetic highway) gaben. Dort wurden zum ersten Mal Teilchen der kosmischen Strahlung gemessen. Auf der Schnellstraße bewegen sich offensichtlich sowohl Teilchen des Sonnenwindes als auch aus dem interstellaren Raum entlang der Feldlinien des solaren Magnetfelds in beiden Richtungen. Binnen weniger Wochen tauchte die Sonde mehrmals in diese »Schnellstraße« ein und verließ sie auch wieder. Beim Eindringen in den Bereich stieg die Magnetfeldstärke an. Jetzt aber sind die Teilchen des Sonnenwindes bei gleichzeitig hoher Magnetfeldstärke praktisch völlig verschwunden. Stamatios Krimigis von der Johns Hopkins University, der für eines der beiden Messinstrumente von »Voyager« verantwortlich zeichnet, ist vor allem von der Schnelligkeit überrascht, mit der sich dieser Umschwung abspielte, »als hätten wir eine gewaltige Vakuumpumpe auf dem magnetischen Highway eingesetzt«. Die Intensität der solaren Partikel ist auf ein Tausendstel zurückgegangen. Etwas Vergleichbares gab es nur einmal, vor 34 Jahren, als »Voyager 1« in die Magnetosphäre des Planeten Jupiter eindrang. Kann dies nun als Hinweis darauf gelten, dass »Voyager 1« die Heliosphäre bereits verlassen hat?

Die Forscher sagen Nein. Denn für diesen Fall würden sie eine Änderung der Magnetfeldrichtung erwarten, die aber nicht gemessen wurde. Leonard Burga vom Magnetometer-Team ist sich sicher, dass die weiteren Messdaten uns verraten werden, wann die Sonde den interstellaren Raum tatsächlich erreicht hat. Demnach befindet sich die Sonde also immer noch in der Heliosheath, aber in einer von keinem Modell vorhergesagten besonderen Region unweit der Heliopause. Doch wie lange noch?

Eine Prognose wagt derzeit niemand. Es könne sich um Monate, aber auch um Jahre handeln, ehe die Sonde in den interstellaren Raum eindringe, meinen die Forscher. Doch schon jetzt bricht »Voyager 1« alle Rekorde: Kein anderes von Menschenhand geschaffenes Objekt hat sich jemals so weit von der Erde entfernt.

Und was ist aus der Sonde »Voyager 2« geworden, die seinerzeit 16 Tage vor »Voyager 1« gestartet wurde? Sie hat einen anderen Weg genommen und nach ihrer Passage von Jupiter und Saturn noch die Planeten Uranus und Neptun observiert. Auch sie funktioniert noch immer und befindet sich gegenwärtig etwa 15 Milliarden Kilometer von der Erde entfernt. Die »Magnetische Schnellstraße« hat sie noch nicht erreicht.

Der Autor war langjähriger Direktor der Archenhold-Sternwarte und des Zeiss-Großplanetariums Berlin und ist jetzt Vorstandsmitglied der Berliner Urania.

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