Kunst des Klauens
»Trance - Gefährliche Erinnerung« von Danny Boyle
Danny Boyle ist ein cineastischer Tausendsassa, der in fast allen Genres zu Hause ist: Kaum ein Film über den Konsum von Drogen sorgte für solches Aufsehen wie seinerzeit »Trainspotting«, der 1996 dem englischen Regisseur den internationalen Durchbruch bescherte. Horror (»28 Hours Later«) und Science-Fiction (»Sunshine«) liebt er genauso wie das Bollywood-Kino (»Slumdog Millionär«) und die Inszenierung der Eröffnungsfeier der Olympischen Sommerspiele in London im letzten Jahr. Fehlt nur noch, dass der bald 57-jährige ein Musical auf die Leinwand bringt, wie er bereits in Interviews angedeutet hat. Erst wurde Boyle von der Kritik belächelt, abgelehnt oder gar bekämpft, dann gefeiert und mit Preisen überhäuft. Die Filme des Oscar-Gewinners sind stets am Puls der Zeit, manchmal schießt er aber auch haarscharf am guten Geschmack vorbei.
Sein neueste Werk »Trance - Gefährliche Erinnerung« ist - wie immer - anders als seine vorherigen Arbeiten und dennoch weist es die Insignien eines typischen Danny-Boyle-Films auf: Ein äußerlich cooler, junger Überlebenskünstler gerät in einen Strudel von Problemen, die am meisten mit seiner eigenen, überspannten Psyche zu tun haben. Diesmal ist es nicht sein Lieblingsdarsteller Ewan McGregor, auch nicht Leonardo DiCaprio, Dev Patel oder James Franco, der den Protagonisten in Boyles oft abstrusem, aber nie langweiligen Universum gibt. Die Wahl fiel auf James McAvoy (»Der letzte König von Schottland«).
Als von Spielschulden geplagter Kunst-Auktionator Simon bekommt er von Sammler Franck (Vincent Cassel) den Auftrag, ein wertvolles Goya-Gemälde zu rauben. Doch unser Held missachtet die vereinbarten Regeln und der Coup endet im Desaster. Er wird bewusstlos geschlagen und als er aufwacht, kann er sich an nichts mehr erinnern. Noch schlimmer: Das wertvolle Bild ist verschwunden. Auch die ausgefeilten Foltermethoden von Francks Komplizen helfen Simon gedanklich nicht auf die Sprünge - und so entschließt sich der fanatische Sammler, es auf eine andere Tour zu versuchen, indem er die Psychologin Elizabeth (Rosario Dawson) engagiert. Mittels Hypnose soll sie die Ereignisse rekonstruieren. Doch gibt sie sich nicht mit einem großzügigen Honorar zufrieden. Sie will ein gleichberechtigtes Mitglied der Kunstdiebesbande werden...
Inszenatorisch hat der Film viel Kraft und suggeriert auch mit einem kleinen Darsteller-Ensemble Größe. Hinzu kommt Rick Smiths hypnotischer, mit Trance- und Ambient-Elementen versehener Soundtrack, der das Abrutschen von Simon in eine Bewusstseins-Grauzone unterstreicht.
McAvoy verkörpert den jungen Mann, hinter dessen weicher Fassade ungeahnte Abgründe lauern, glaubhaft. Allerdings stehlen ihm Vincent Cassel und Rosario Dawson die Show. Cassel kommt zu Beginn brutal und skrupellos daher, besinnt sich aber im Laufe des ambitioniert fotografierten Verwirrspiels (Kamera: Anthony Dod Mantle) auf seine menschlichen Qualitäten. Wahrscheinlich liegt es daran, dass er sich in die ungemein intelligente und obendrein noch hocherotische Rosario Dawson verliebt, die wiederum nicht nur als Psychologin ein Auge auf James McAvoy geworfen zu haben scheint. Sie treibt ein wahrhaft doppeltes Spiel, um zu ihren Zielen zu gelangen - und das betrifft nicht allein das entschwundene Goya-Gemälde.
Am Ende erweist sich Boyles Film auch als eine Hommage an »Starke Frauen«-Filme wie Russ Meyers »Faster, Pussycat! Kill! Kill!« (1966) oder Ridley Scotts »Thelma & Louise« (1991). Moliere sagte, »die Große Ambition der Frauen liegt in der Ermutigung zur Liebe.« Um Letztere zu erlangen, sind die Männer bekanntlich zu fast allen (Schand-)Taten bereit.
Dabei verlieren sich nicht nur McAvoy und Cassel an die Femme fatale, sondern auch gelegentlich Regisseur Boyle: So sehr verzettelt er sich in der eigenen Verspieltheit, dass an sich brutale Szenen mitunter unfreiwillig komisch wirken.
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