Ist das Schmalz fett?

Münzenberg-Lektionen: Walter Benjamins »Der Autor als Produzent«

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 4 Min.

Communisant» ist ein selten gebrauchtes Wort. Es bezeichnet jemanden, der mit den Kommunisten sympathisiert, sich ihnen zugehörig fühlt, sich der Partei aber nicht anzuschließen gedenkt. So einer war der Intellektuelle Walter Benjamin, um dessen literaturtheoretische Überlegungen die vorgestrige «Münzenberg-Lektion» kreiste.

Möglicherweise gibt eine an diesem Abend vom eingeladenen Referenten Stefan Rosinski wiedergegebene Anekdote von einem antifaschistischen Schriftstellerkongress aus dem Jahr 1935 Aufschluss darüber, warum ein gewisses Maß an Verkniffenheit, Selbstgerechtigkeit und knüppelharter Hausmeistergesinnung in den Reihen der Kommunisten eine Rolle dabei gespielt haben könnte, dass Benjamin es zu Lebzeiten vorzog, ein linker Außenseiter zu bleiben: Als nach einem flammenden Vortrag des KPD-Mitglieds und Schriftstellers Gustav Regler die Zuhörer begannen, spontan die «Internationale» zu singen, soll Alexander Abusch ihn gerügt haben: Er, Regler, habe nicht zu bestimmen, wann die Internationale gesungen werde. Als Regler sich damit rechtfertigte, dass die Zuhörer doch spontan gehandelt hätten, soll der spätere DDR-Kulturminister Alexander Abusch den wunderbaren Satz erwidert haben: «Revolutionen haben nicht spontan zu sein.»

«Als Communisant im Widerstand!» lautete der Titel des Vortrags, in dem am Beispiel von Benjamins Aufsatz «Der Autor als Produzent», der wiederum unter dem Einfluss von Bertolt Brechts Literaturkonzeption entstand, die Rolle und literarische Praxis antifaschistischer Schriftsteller in den 20er und 30er Jahren erörtert wurde. Etwa 20 Zuhörer waren im Salon der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen.

Stefan Rosinski, Geschäftsführer des Volkstheaters Rostock, erwies sich als präziser Kenner der kunst- und literaturtheoretischen Auseinandersetzungen, die unter Linken in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in Europa geführt wurden. Benjamin, nicht aus einer proletarischen Familie stammend und mit dem «Bildungsprivileg des Intellektuellen» ausgestattet, so wird klar, konnte einer inhaltistisch und agitatorisch operierenden Klassenkampfkunst, die er für ein untaugliches Instrument für soziale Veränderungen hielt, wenig abgewinnen.

Einer sozialistisch gefärbten Trivialliteratur, die ihm zufolge als reine Gesinnungsliteratur mit plumper Schwarzweißmalerei arbeitete und den kämpferischen Proletarier in eine überschaubare, simpel geordnete Welt stellte, war eine ihre künstlerischen Form reflektierende Literatur stets vorzuziehen. Wer die Kunst politisieren wolle, müsse sich Gedanken über die schriftstellerische Technik machen, sich um eine avancierte Ästhetik bemühen, so Benjamin. Denn erst seine Form gebe Aufschluss über die Qualität und Fortschrittlichkeit eines Kunstwerks. Letztlich ging es Benjamin, der vor allem die Technik und organisierende Funktion der Kunstpraxis im Blick hatte, auch darum, einen Umbruch, einen Funktionswechsel der Literatur herbeizuführen. Doch nicht nur das triefende Pathos und Phrasengedresche kommunistischer Trivialliteratur und die literaturtheoretischen Dogmen der Parteikommunisten, auch Alfred Döblins und Heinrich Manns gutgemeinte engagierte Literatur und die etwa durch Erich Kästner repräsentierte «Neue Sachlichkeit» ließ Benjamin nicht gelten: In der literarischen Gegenwartsreportage etwa sei selbst das geschilderte Elend nur Gegenstand des literarischen Konsums, sodass sich selbst politisch kämpferisch gemeinte Literatur am Ende in einen Konsumartikel verwandelt.

Wie die russischen Formalisten ihr Interesse vielmehr auf das Gemachtsein von Texten richteten, tat dies auch Benjamin. Was ihn mit Brecht einte, ist die Ablehnung einer idealistischen Ästhetik. Brecht sei es mit seinem «epischen Theater» gelungen, aus den Zuschauern Mitwirkende zu machen, die Theaterillusion zu brechen, den Betrachter aus der Rolle des Eingeschläferten zu holen. Was Benjamin mit den Theoretikern der Frankfurter Schule einte, ist die Ablehnung eines von kommunistischen Kulturpolitikern meist favorisierten, «sozialistischen» «Realismus»-Konzepts, das jedes Spiel mit der Form, jede ästhetische Neuerung und jede Infragestellung der verordneten Dogmen als «dekadent» oder «unbrauchbar im Klassenkampf» schmäht, in seiner Bewertung von Kunst also kaum andere Maßstäbe anlegt als bei der Bewertung von Butterschmalz: Ist es fett genug? Lässt sich damit braten?

Rosinski gab nach dem Ende des Vortrags zu bedenken, dass politisch-literaturtheoretische Fragen wie die Benjamins (Wie steht ein Kunstwerk gegenüber den sozialen Produktionsverhältnissen seiner Zeit?) heute - inmitten des allgegenwärtigen Kapitalismus - nicht mehr gestellt werden. Die Sowjetunion der 20er Jahre existiert nicht mehr, ebenso wenig die sich mit ihr seinerzeit solidarisierende internationale Bewegung. Und fragen Sie mal den jugendlichen I-Phone-Benutzer, der in der Fußgängerzone herumsteht, nach dem dialektischen Materialismus.

Gegen Ende der Veranstaltung entspann sich eine kurze Diskussion, in deren Verlauf man sich wohl uneinig war über den Beginn der Rezeption des Benjaminschen Werks im Osten Deutschlands: Wurden seine Aufsätze erst in den 90ern rezipiert? Oder konnten Kritiker und Literaturinteressierte schon zu DDR-Zeiten in zahlreichen Zeitschriften und Buchpublikationen seine Texte lesen? So schien Benjamins berühmter Essay vom «Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit» zwar an einigen Hochschulen Pflichtlektüre gewesen zu sein, doch eine intensive Beschäftigung mit dem Werk des undogmatischen Denkers dürfte in der DDR ausgeblieben sein.

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