Schluss mit der Ausbeutung!
Die Beschäftigungsverhältnisse im Berliner Kulturbetrieb sind prekär - ein Appell
Gerne rühmt sich der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, mit der vielfältigen Berliner Kunstszene, die »mit rund 6000 Bildenden Künstlern und über 400 Galerien (...) heute ein international attraktiver Produktionsort für Kunst und der Standort mit der höchsten Galerien-Dichte Europas (ist)«, wie auf dem offiziellen Berlin-Internetportal nachzulesen ist. Auch hat sich Wowereits Charakterisierung der Hauptstadt als »arm, aber sexy« ins kollektive Gedächtnis gebrannt. Allerdings ist an den Arbeitsbedingungen der Kulturschaffenden nichts sexy, dafür viel arm.
Während eine gut situierte, international agierende Galerie nicht selten auf den für Geschäft und Umsatz mittlerweile zentralen Kunstmessen, wie etwa der Art Basel oder der Frieze London, innerhalb weniger Tage gut und gerne mehrere Millionen Euro verdienen kann, müssen die Angestellten mit einem vergleichsweise geringen Gehalt von durchschnittlich 2000 Euro brutto zurechtkommen - und das für eine 50- bis 60-Stunden-Woche. Dabei wird von ihnen erwartet, dass sie an Vernissagen, Messen oder dem jedes Jahr im Mai in Berlin stattfindenden Gallery-Weekend, zu dem Sammler aus der ganzen Welt eingeflogen werden, mitunter auch an mehreren Tagen bis spät nachts arbeiten und das Wochenende opfern.
Schlimmer als die schlechte Bezahlung sei jedoch die aggressive und unkollegiale Arbeitsatmosphäre, so der ehemalige Manager einer großen Berliner Galerie, der nicht namentlich genannt werden möchte. »In endlosen Überstundenmarathons wird auch vor Mobbing und konkreter Fehlinformation nicht halt gemacht, natürlich allein, um die eigene Stellung zu festigen. So ist ein ständiges Kommen und Gehen in der Branche üblich, denn wirklich lange hält das niemand aus.«
Perfider geht es noch in solchen Galerien zu, die in der Illegalität operieren, indem sie ihre Mitarbeiter als sogenannte »feste Freie« beschäftigen und diese in die Scheinselbstständigkeit drängen, um die Kosten für die Sozialversicherung zu umgehen. Zwar mögen dies Extremfälle sein, und es gibt auch anständige Arbeitgeber in der Kunstszene, aber sicher ist, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt und dass auch vom Land oder Bund geförderte Institutionen nicht von solchen Praktiken ausgenommen sind. Auch sie beschäftigen Mitarbeiter über befristete Werkverträge in nicht sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnissen oder minimieren ihre Personalkosten, indem sie Hochschulabsolventen erst einmal für zwei Jahre als Volontäre einstellen und ihnen »einen Unterhaltzuschuss« zahlen, »wie es die Richtlinien über die Beschäftigung und die Festsetzung nichttariflicher Entgelte für Praktikanten (…) und Volontäre vom 08. Dezember 2003 in ihrer jeweiligen Fassung vorsehen«. »Das Entgelt beträgt zur Zeit Euro 1052,06 (Brutto) monatlich«, wie einem Arbeitsvertrag der Berlinischen Galerie - Museum für moderne Kunst zu entnehmen ist. Bei den Institutionen der Stiftung Preußischer Kulturbesitz müssen die Volontäre sogar noch einen Doktortitel nachweisen, ohne dass das Gehalt dadurch merklich steigen würde. So liegt es, einer Mitarbeiterin der Personalabteilung zufolge, aktuell bei 1309 Euro brutto.
Demnach muss die Situation als symptomatisch für die ganze Branche angesehen werden. Dabei kommt es in Berlin einem halben Wunder gleich, wenn man überhaupt einen Job in der Kultur findet, angesichts von schwindelerregenden Bewerberzahlen für die wenigen Stellen, die es gibt. So berichtet eine Kulturwissenschaftlerin, die sich für das kulturelle Stadtentwicklungsprojekt »Actors of Urban Change« bewarb und ebenfalls anonym bleiben möchte, dass sie mit mehr als 400 anderen Bewerbern um die Stelle konkurrierte. Nunmehr habe sie so viele Absagen auf reguläre, sozialversicherungspflichtige Jobs erhalten, dass ihr nichts anderes übrigbliebe, als sich weiterhin bei Künstlern und kleineren Ausstellungsräumen von Projekt zu Projekt zu hangeln. Bei einem Stundenlohn von 10 Euro auf freier Basis sei dabei an so etwas wie Altersvorsorge oder Familiengründung nicht zu denken und so rechne sie bereits jetzt mit Altersarmut.
Angesichts derart schlechter Aussichten und eines Lebens am Existenzminimum ist denn nicht selten von Depressionen und einer totalen Desillusionierung im Kreise der Kulturschaffenden zu hören, denn viele dachten, dass sie ein Hochschulstudium vor solch prekären Arbeitsverhältnissen bewahren würde. Erschwerend kommt hinzu, dass es keine Lobby und keine Gewerkschaft gibt, die sich dieses Problems annehmen würde. Aus Scham vor der eigenen Situation oder der Angst um den Arbeitsplatz wehren sich die Betroffenen in der Regel auch nicht, was den Arbeitgebern noch mehr Macht verleiht. Jegliche Kritik wird im Keim erstickt, wie etwa auf der letzten Berlin Biennale beobachtet werden konnte, zu der Vertreter der Occupy-Bewegung eingeladen waren, die eine Debatte über die Ausbeutungsmechanismen in der Kunst initiieren wollten. Das war nicht erwünscht.
Die Frage ist, wie lange eine Stadt wie Berlin, deren Wirtschaft zu einem großen Teil auf der Kreativszene beruht, sich solche Zustände leisten will.
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