Tabubruch als Gewohnheit

Politik stimmt sich auf Militäreinsatz in Syrien ein, Medien übernehmen bereits die Lufthoheit

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Wahrscheinlichkeit eines erneuten Waffengangs von NATO-Staaten steigt, diesmal geht es gegen Syrien. Und schnell nehmen die deutschen Parteien ihre angestammten Plätze in den Gräben ein.

Es ist wie immer in vergleichbaren Fällen: Die große Mehrheit der Bürger lehnt einen Waffengang gegen Syrien ab, und die Politik plant ihn trotzdem. 69 Prozent der von Forsa im Auftrag des »Stern« Befragten sprachen sich dagegen aus, dass der Westen militärisch in Syrien eingreift. Und von den 23 Prozent, die ein Eingreifen befürworteten, lehnten immer noch 28 Prozent eine deutsche Beteiligung ab. In Politik und Medien ist das Stimmungsbild offenbar ein anderes. Alles treibt auf einen militärischen Einsatz zu.

Die Lufthoheit haben schnell die Medien erobert. Sie sorgen für Formulierungen, die dem Grauen vor Ort anschauliche Begriffe zuordnen, aber das Grauen, mit dem der Westen seinen Anteil am Konflikt übernehmen könnte, verharmlosen. Ob das syrische Regime vom Meer aus oder aus der Luft »unter Druck zu setzen« vernünftig sei, ist die erörterte Frage. Eine Strafe müsse verabreicht werden, wem, das versteht sich von selbst - dem Machthaber in Damaskus, auch wenn es um dessen persönliche Sicherheit zuletzt geht. Wie immer ist die Zivilbevölkerung, sind die Menschen, die längst zu Vertriebenen im eigenen Land geworden sind, allenfalls eine Kollateralschadengröße.

Erstaunlich, wie problemlos der Motor anspringt, der Deutschland an seinen Platz im Gefüge des kriegsplanenden Westens dirigiert. Was sonst sollte helfen, die Verbrechen in Syrien zu stoppen, lautet die immer wieder unschuldig gestellte Frage - was sonst außer einem schmerzhaften Militärschlag? Es ist kaum anzunehmen, dass in den strategischen Runden der NATO-Staaten so infantil argumentiert wird wie es in solchen Interviewfragen vorgegaukelt wird: Wem in Syrien das Verbrechen »zuzutrauen« sei, Giftgas einzusetzen, dürfte in den Planungen, wie und wann dem Assad-Regime der offenbar für nötig gehaltene nachhaltige Schlag versetzt wird, eine vernachlässigbare Überlegung sein. Stattdessen ist Generalstäblern und Vertretern der politischen Klasse zuzutrauen, dass sie militärisches Vorgehen und die Begründungen hierfür so erfolgreich aufeinander abstimmen wie in vergleichbaren vorausgegangenen Fällen. Die Frage ist dabei müßig, ob das Giftgasverbrechen nahe Damaskus eine unerwartete Rechtfertigung liefert oder als Alibi absehbar war.

Die Politik gibt sich in Deutschland noch zurückhaltend. Aber Bundesaußenminister Guido Westerwelle hat den inneren Konflikt benannt, als er davon sprach, dass jetzt beides nötig sei, »Entschlossenheit« und »Besonnenheit«.

Seit dem Jahr 1999, als Deutschland in einer Allianz des Westens an Luftschlägen gegen Serbien beteiligt war, ist der Tabubruch zur Gewohnheit geworden. Die großen Parteien haben sich immer wieder nach bestimmten Ritualen verhalten. Der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan wurde - mit Ausnahme der Linkspartei, die sich bisher jedem solchen Einsatz verweigert hat - im Schulterschluss von Union, SPD, Grünen und FDP beschlossen. Die von Bundeskanzler Gerhard Schröder versicherte »uneingeschränkte Solidarität« mit den USA gab den Ton vor. Als die rot-grüne Bundesregierung im Jahr 2003 eine Beteiligung am Krieg der USA gegen Irak verweigerte, tat sie dies unter kritischen Kommentaren von Union und FDP. 2011 war es umgekehrt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung verweigerte die Teilnahme am Krieg des Westens gegen Libyen und musste beißende Kritik der rot-grünen Opposition über sich ergehen lassen. Nun, im Jahre 2013, lässt der wechselseitige Widerstand gegen Kriegseinsätze, der immer auch ein Akt der Opposition gegen die Regierung war, nach. Auch wenn noch immer in Appelle zur Zurückhaltung gekleidet, ist die Bereitschaft zum Militärschlag im Prinzip auf allen Seiten erkennbar. Als Gipfel der Nachdenklichkeit ist hier bereits die Warnung des Präsidenten des Europaparlaments, Martin Schulz (SPD), zu werten, der vor einem Angriff ohne UN-Mandat warnte.

Eine klare Ausnahme macht erneut die LINKE. »Wir wären nicht nur nicht dabei, wir würden Proteste dagegen organisieren«, sagte Parteichef Bernd Riexinger am Dienstag in der ARD. Krieg könne nicht mit Krieg bekämpft werden. Er forderte den Abzug der deutschen Patriot-Raketen an der türkisch-syrischen Grenze. Denn wenn sich die Türkei an der Strafaktion beteiligen werde, sei auch Deutschland Kriegsteilnehmer.

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