Zauber und Fingerspitzengedanken
Shakespeares »Sturm« am Berliner Ensemble
Eben zurückgekehrt von Goethes »Faust« in Weimar - Erdgeist und Weltenzauber. Jetzt Shakespeares »Sturm« am Berliner Ensemble - Luftgeist und wieder Zauberwelten. Schöne Siege der Fantasie, wogegen draußen der faule parlamentarische Budenzauber von Wahlplakaten grinst. Straßen-Theater niederster, geradezu strafbarer Art, weil es die Einbildungskraft fortwährend zum Rowdytum reizt: Wie zerfetzt, zerkritzelt man am originellsten lauter öde Gesichtskopien?
Solche Abschweifung aus Gram führt beileibe nicht weg von Shakespeares Stück und Barbara Freys Inszenierung, die nun zwischen Wiener Akademietheater und BE ihre Wanderexistenz begann. Nein, im fad Politischen liegt bei »Sturm« aller Beginn. Mailands Herzog Prospero verliert seinen Stand, seinen Posten, wird verjagt von seinem Bruder, weil er dem Feinsinn verfiel, weil er Kunstverstand besaß, weil er mitten im Geschäft Fingerspitzengedanken dachte. Fatal. Denn Politik kann nur lebenslang betreiben, wem in der dämonischen Schunkelbude der rhetorischen Wiederholungsschleifen nicht schwindelig wird von der eigenen Trivialität. Dem Prospero wurde schwindelig. Ab auf eine einsame Insel! Verbannung, mit Tochter Miranda. Schiffbruch einer Karriere. Wie Robinson einst Freitag fand, so stößt Prospero auf Luftgeist Ariel und das evolutionäre Urvieh Caliban - jenen Eingeborenen, der zum Knecht wird. Ist Prospero ein Feingeist, so bleibt er doch Westler: Man kommt woanders nicht einfach an, man besetzt, versklavt.
Als die Mailänder Gesellschaft, Prosperos Todfeindbande, eines Tages in Inselnähe kommt, lässt er es stürmen, blitzen, krachen, lässt ersaufen und jammern. Ein Rachespiel. Ja, Spiel. Die Bühne von Bettina Meyer: eine lange Tafel, eine Sitzungsreihe wie vor einer Leseprobe. Die Insel, ein grau-schwarzes Bretterwandgewirr. Der Zauber noch in Bauprobenphase. Drei großartige Schauspieler - Johann Adam Oest, Maria Happel, Joachim Meyerhoff - sind Prospero, Ariel, Caliban, aber auch andere Gestalten des Stücks. Prospero erzählt Shakespeare. Erzählt jenen Spuk, der Verwirrung stiftet, Überlebende in Trauer über Tote drängt, die gar nicht tot sind, und Tochter Miranda in Verliebtheit stürzt. Erzählt’s wohl zum x-ten Male, Ariel kann den Text schon mitflüstern. Am Ende wird dieser Ariel in die Freiheit entlassen, nachdem er Prospero überzeugt hat, das Rachespiel zu beenden. Gnade besiegt Galle, Güte trocknet Gift aus, Liebe gewinnt Gegner füreinander.
Johann Adam Oest gibt grandios den gebrochenen, gemütsweichen, in seiner Verletztheit aber auch poltrig und barsch gewordenen Prospero; herzrührend, wie er mehr und mehr ein inniges Verhältnis zum Überwältigenden aufbaut - und das, was ihn überwältigt, es ist der große, in den Menschen so schwer einpflanzbare Zauber der Vergebung.
Joachim Meyerhoff als Ariel kommt per Kletterstange aus den Lüften, trägt ein Trainingsjäckchen, das er für ein bisschen Dienerhaltung zupfen muss, die Hände an der Hosennaht, das bebrillte Gesicht von stierer, dann wieder hellwacher Leere, ein Wesen, das bei Zauberaufträgen schnell auf Kreatour kommt. Und Maria Happel wechselt von Caliban zu Miranda, von Glatzkopf zu Haarkranz, vom feist-fläzigen Untertanengroll und fettem Lachdonner zum lieblich piepsenden Pummel. Dieses Trio: in so viel Minimalismus so viel Fülle!
Wunderbares, poetisches Theater. Nur neunzig Minuten. Aber zum Glück ist es trotzdem schon so dunkel, dass man draußen die Politikerplakate nur umdämmert sieht. Oberste Nachtforderung in Wahlzeiten: Nieder mit der Straßenbeleuchtung! Es leben dagegen die Erleuchtungen. Etwa die: Sinnvoll in Politik und Geschichte ist nur, was aus beidem hinausführt. Und wer ständig Aufbruch, Ausfahrt predigt, wird Insels Lehre erfahren: Auch neueste Ufer sind nur ein Ort, um zu stranden. Oests Prospero am Schluss: Pure Zerbrechlichkeit - Existenz in Vorausschau des Todes, des Verschwindens, der spurlosen Erlösung. Leiser kann man nicht juchzen, dass aber vorher gelebt und geliebt werden möge.
Nächste Vorstellung: 25.9.
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