Von der Fabrik ins Parlament
Azize Tank blickt auf eine ganz besondere Karriere zurück
Azize Tank betritt an diesem Vormittag zum ersten Mal ihr neues Büro im Jakob-Kaiser-Haus. In direkter Nachbarschaft zum Reichstag befinden sich in dem 2002 eröffneten Anbau die Räumlichkeiten für viele Bundestagsabgeordnete und deren Mitarbeiter. Im Vorzimmer wartet Regina Girod. Sie war Büroleiterin der niedersächsischen Abgeordneten Dorothée Menzner, die in der neuen Legislatur nicht mehr im Bundestag vertreten sein wird. Azize Tank übernimmt das Büro Menzners mit Blick auf den Hof. Büroleiterin Girod sorgt für den reibungslosen Übergang. Sie arbeitet bereits seit 2005 im Bundestag und kennt sich mittlerweile »ganz gut aus«, wie sie schmunzelnd meint. »MOX-Brennstäbe«, »Gorleben«, »Schacht Konrad« - auf den Deckeln der Aktenordner im Vorzimmer finden sich noch die Hinweise auf die Arbeitsschwerpunkte von Dorothée Menzner, die energiepolitische Sprecherin der Linksfraktion war.
Parlamentsneuling Azize Tank will andere Akzente setzen. Die ehemalige Sozialberaterin wird sich zukünftig um Seniorenpolitik kümmern. »Meine Utopie mit 63 Jahren: das Leben der Senioren durch eine gesellschaftliche Altersrevolte lebenswert und sexy zu machen.« Ihr besonderes Anliegen sei es immer gewesen, »Menschen verschiedener Kulturen und Religionen zu vernetzen und ihnen eine Plattform zu schaffen«. Dies wolle sie nun im Bundestag fortführen.
Man merkt ihr die Vorfreude auf ihre neue Tätigkeit an. »Ich will aber weiter für alle Menschen erreichbar sein«, betont Tank, die viele Jahre als Migrantenbeauftragte im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf tätig war. Auch die türkischen Medien interessieren sich für die Berlinerin und ihre Geschichte. »Viele meinen, dass das perfekt passt: Die ehemalige Fabrikarbeiterin sitzt für die Sozialisten im Parlament«, schmunzelt Tank. Parteimitglied ist sie nicht. »Das wäre jetzt, wo ich es tatsächlich geschafft habe, auch zu opportunistisch«, findet Tank.
Im Jahre 1972 kam die damals junge Frau von Istanbul in die Oberpfalz, um dort in einer Porzellanfabrik zu arbeiten. Später zog es sie nach Berlin, wo sie 1975 Mitglied des türkischen Frauenvereins wurde. 1982 gehörte sie zu den Mitbegründerinnen des interkulturellen Vereins Lisa. 1990 wurde sie Ausländerbeauftragte im damaligen Bezirksamt Charlottenburg. 2009 ging Tank dann in den Ruhestand, der jedoch keiner war. »Ich hatte zwar meinen Job beim Bezirksamt nicht mehr, dafür arbeitete ich aber für Initiativen und bin zudem Vorstandsmitglied der Eberhard-Schultz-Stiftung für soziale Menschenrechte und Partizipation«, unterstreicht die temperamentvolle Frau mit der wilden Lockmähne.
Ende 2012 sei die Linkspartei an sie herangetreten, so Tank. Aus der ehemaligen Migrantenbeauftragten wurde die Direktkandidatin für den Wahlkreis Tempelhof-Schöneberg. Zwar holte die CDU das Mandat, doch Azize Tank kämpfte. »Mit Leidenschaft für soziale Menschenrechte und Partizipation«, lautete ihr Slogan. Damit holte sie mehr als zehn Prozent der Zweitstimmen. Sicher auch dank der Migranten, die ohnehin eher links wählen. Bei einer symbolischen Wahl, die der Türkische Bund Berlin-Brandenburg (TBB) parallel zum Urnengang am 22. September durchführte, wurde die LINKE mit 45,6 Prozent stärkste Kraft. Sicher auch eine Erklärung für das gute Abschneiden der LINKEN in Westberlin.
»Am Wahlabend war noch gar nicht klar, ob ich es überhaupt in den Bundestag schaffen würde«, erinnert sich Tank. Ihr Listenplatz 6 galt als unsicher. Ohnehin habe sie den Platz nur erhalten, weil der Berliner Landeschef Klaus Lederer ihr den Vortritt gelassen habe. Umso größer war die Freude, als am Montag nach der Wahl klar war, dass es mit dem Mandat geklappt hatte. Nun ist Azize Tank die erste Bundestagsabgeordnete der LINKEN aus Westberlin. »Dabei lebe ich seit Jahren auch gerne im Ostteil der Stadt«, schmunzelt Azize Tank.
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