Kleine Hürden für Große Koalition
SPD-Parteikonvent verabschiedet Forderungskatalog für Verhandlungen mit der Union – zentrale Wahlforderungen fehlen
Sichtlich zufrieden trat SPD-Parteichef Sigmar Gabriel am Sonntag vor die Presse. Von 229 Delegierten wollen rund 85 Prozent Koalitionsverhandlungen mit den Konservativen beginnen. SPD-Fraktionsvize Hubertus Heil hatte vor dem Konvent gesagt: »Wir haben ein schwieriges Wahlergebnis, aber die SPD geht vernünftig damit um.« Trotz einer kleinen Demonstration von rund 80 SPD-Mitgliedern vor den Türen des Willy-Brandt-Hauses in Berlin gegen eine Große Koalition wurde sein Appell offenbar gehört. Selbst Hannelore Kraft, SPD-Ministerpräsidentin in Nordrhein-Westfalen und zuvor scharfe Kritikerin einer Großen Koalition sprach sich vor dem Kleinen Parteitag für ein Bündnis mit CDU und CSU aus.
Der 35-köpfige Parteivorstand hatte erwartungsgemäß bereits am Sonntagsmorgen für Koalitionsverhandlungen votiert. Allerdings wurde der Entwurf der Parteispitze nach einer SPD-Vorstandsitzung noch etwas geschärft.
Zehn Kernforderungen sollen die Grundlage der Verhandlungen bilden – hohe Hürden sind nicht dabei. Ganz oben auf der Liste steht ein allgemeiner, verbindlicher und flächendeckender Mindestlohn von 8,50 Euro in Ost und West. Hier hat Kanzlerin Angela Merkel (CDU) bereits Zustimmung signalisiert, auch wenn ihr Wirtschaftsflügel wenig begeistert ist. Fraglich ist jedoch, welches Modell sich durchsetzt.
Weitere SPD-Kernforderungen beziehen sich auf bessere Maßnahmen gegen Altersarmut, eine Anhebung des Pflegeversicherungsbeitrags, Finanzhilfen für Kommunen, Investitionen in Infrastruktur und Bildung sowie die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Alles Forderungen, der die Union zustimmen könnte. Auch Annäherungen bei der Forderung nach doppelter Staatsbürgerschaft sind gut vorstellbar, das hatten die Konservativen den Grünen in der gescheiterten Sondierung bereits zugesichert.
Beim Thema Rente wird es schon spannender: Die SPD will eine »auskömmliche Rente für langjährige Beitragzahler« und eine höhere Rente für Geringverdiener. CDU fordert höhere Renten für Mütter, deren Kinder vor 1992 geboren wurden. Unter die Räder kommen wird beim Streit um die Rente wohl die Ost-West-Angleichung, Spitzenpolitiker hatten im Vorfeld verlauten lassen, dass dazu das Geld fehle.
Erweitert wurden die Kernforderungen um die Themen »vernünftige Gestaltung« der Energiewende, Verbesserungen für gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und mehr Rechte für Flüchtlinge. Das Betreuungsgeld, das zuvor keine Erwähnung fand, wird in der überarbeiteten Version als »falscher Pfad« bezeichnet. Allerdings wird nicht mehr konkret das Aus gefordert für die Zahlungen von derzeit 100 Euro pro Monat an Eltern, die ihr Kind nicht in die Kita geben.
Auch das Thema Spitzensteuersatz taucht in dem neuen Papier nur noch am Rande auf. Der Ruf nach Steuererhöhungen für Reiche ist für die Union wegen ihrer Wahlversprechen nicht verhandelbar. Die SPD hat die höheren Steuern zwar auch in ihrem Programm, scheint aber darauf verzichten zu können, wenn es für bestimmte Vorhaben eine andere Finanzierung gibt. Der linke SPD-Flügel hatte zuvor erneut darauf hingewiesen, dass es beim Spitzensteuersatz auch um Umverteilung als politisches Ziel gehe.
Inwieweit Flüchtlingsrechte in den anstehenden Verhandlungen tatsächlich eine Rolle spielen und ob das die Situation von Geflüchteten verbessert, steht in den Sternen. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verlangt von Union und SPD, im Koalitionsvertrag einen besseren Schutz für Flüchtlinge festzuschreiben. Die Generalsekretärin der deutschen Amnesty-Sektion, Selmin Caliskan, forderte, Deutschland sollte mehr Flüchtlinge aufnehmen.
Letztlich entscheiden aber die SPD-Mitglieder, denen ein ausgehandelter Koalitionsvertrag zur Abstimmung vorgelegt wird. Ob die Verhandlungen bis Weihnachten abgeschlossen sind, wollte Gabriel nicht voraussagen, auch wenn das »wünschenswert« wäre.
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