Erfolg haben heißt, über Leichen gehen

Bastian Kraft inszeniert »Der talentierte Mr. Ripley« an den Kammerspielen des Deutschen Theaters

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.

»Wie in einem Film, dachte Tom.« So hören wir es gleich am Anfang der auf Patricia Highsmiths Roman »Der talentierte Mr. Ripley« von 1955 basierenden Inszenierung an den Kammerspielen des Deutschen Theaters. Ein Leitmotiv, weit verbreitet an deutschen Bühnen, wo man offensichtlich ungern Stücke spielt, lieber (erfolgreiche) Romane und Filme adaptiert. Auch das DT vermeidet zunehmend die große und schwierige Dramatik, wählt das kleinere und leichtere Format. Das hat Folgen - die handwerklichen Fähigkeiten des Großteils des Ensembles bescheiden zu nennen, ist noch pure Freundlichkeit.

Aber in Bastian Krafts Regie ist eine andere Energie am Werk. Auf der Bühne von Ben Baur hängt ein Viereck, einem Bilderrahmen nicht unähnlich, frei im Raum. Als Ripley vom Film spricht, in dem er glaubt gefangen zu sein, balanciert er auf dem unteren horizontalen Balken. Der Kunstgriff des jungen Regisseurs: Die Hauptfigur Tom Ripley behandelt sich selbst immer wie eine Romanfigur oder gleich einen Filmhelden, denn mehr noch als den Roman kennt man dessen beide Kino-Adaptionen: »Nur die Sonne war Zeuge« von 1960 mit Alain Delon und »Der talentierte Mr. Ripley« von 1999 mit Matt Damon. Aber dieses ständige Kommentieren seiner selbst ist etwas anderes als Selbstreflexion: Eine erfundene Geschichte, die er zur eigenen erklärt, wird immer weiter ausgesponnen, treibt so ihrem Höhepunkt zu, was dazu führt, dass anstelle des Menschen Tom Ripley die Fiktion jenes Menschen vor uns steht, der Ripley gern sein möchte. Nein, kein Verbrecher, sondern ein anerkannter Erfolgsmensch - der Tod anderer ist dabei nicht mehr als ein leider unvermeidliches Übel. So wechseln in dieser überaus inspirierten Inszenierung ständig Schein und Sein.

Wir wohnen einer Verwandlung bei: Der junge Tom Ripley bekommt in New York eher zufällig den Auftrag, einen flüchtigen Bekannten in Italien zu besuchen und ihn dabei zu überreden, wieder nach Hause zurückzukehren. Ripley (grandios in seiner abgründigen Durchschnittlichkeit: Christoph Pütthoff) findet Dickie Greenleaf (den Sadismus der Besserverdienenden präzise ausspielend: Daniel Hoevels) - aber statt ihn dem Auftrag von Dickies Vater folgend zur Rückkehr nach New York zu bewegen, zieht er nun bei ihm ein, hängt wie Klette an ihm, genießt das schöne, leichte Leben an südlicher Küste, wohl wissend, dass es nur geborgt ist. Aber die Demütigungen, die der schnell als lästig empfundene Hausgast erfährt, lassen ihn immer mehr einen Gedanken durchspielen: Was, wenn ich an Dickies Stelle wäre?! Bekanntlich drängt alles, was gedacht wird, dahin, einmal zur Ausführung zu kommen - und so plant Ripley die Ermordung Dickies auf offener Bühne, als wäre er der Dramaturg dieses Stückes.

Bei einer Segelpartie erschlägt er Dickie und wirft ihn über Bord. Nun nimmt er selbst den Stelle seines Gönners ein, lebt unter seinem Namen, die Unterschrift auf den Schecks zu üben, hatte er ausreichend Zeit. Dann taucht Dickies Freundin (Franziska Machens) auf, die ihn sucht und Ripley anstelle seiner antrifft. Ripley gelingt es, sie mit wirren Erklärungen abzuschütteln. Ein anderer Freund Dickies, Freddie Miles (wie ein besonders robuster Yankie: Stefan Schießleder) steht ebenfalls plötzlich vor der Tür, ahnt jedoch zu viel und wird kurzerhand ermordet. So schnell kann es gehen: Aus einem simplen Lebenskünstler wird ein dämonischer Mehrfachmörder. Die Polizei ermittelt, Ripley springt zwischen den Identitäten hin und her, erfindet immer neue Geschichten, täuscht alle, kommt davon. Er ist wirklich ein talentierter Mensch.

Nach zwei Morden steht er immer noch so lächelnd um Freundschaft und Zuneigung werbend vor uns wie am Anfang. Die Abwesenheit jeglichen Schuldgefühls ist phänomenal. Im Film hat man am Ende seinen raffinierten Plan noch platzen lassen, Dickies Leiche hatte sich im Ankertau seiner Jacht verfangen und kommt, als es niemand mehr erwartet, auf der Schiffswerft ans Licht des Tages. Hier in Bastian Krafts Inszenierung hat der Mörder und Betrüger am Ende vollen Erfolg: Die Welt steht seinen weiteren Unternehmungen offen. Wer wollte auch einen so erfindungsreichen und nun auch wohlhabenden jungen Mann mit guten Manieren stoppen, der schließlich nur will, was alle wollen: schnell zu noch mehr Geld kommen.

Erfolg haben heißt, über Leichen gehen - mehr denn je. Entscheidend ist, dass man dabei immer und in allen Situationen seriös wirkt. Ein hartes Bild von einem Amerikaner in Italien. Wer denkt da nicht an jene überaus gut aussehende amerikanische Austauschstudentin, die in Perugia wegen Mordes (vermutlich beim Sex im Drogenrausch) an einer Mitbewohnerin erst zu lebenslanger Haft verurteilt worden war (italienische Journalisten nannten sie nur den »Engel mit den Eisaugen«) und dann wegen eines Verfahrensfehlers vorläufig auf freien Fuß gesetzt werden musste - sich daraufhin sofort in die USA absetzte, wo die Mittzwanzigerin inzwischen erfolgreich ihre »Memoiren« veröffentlichte, aber zur nun anstehenden Revisionsverhandlung lieber nicht mehr zurück nach Italien kommt.

Im Grunde ist das auch die Geschichte Ripleys. Denn wer ist er wirklich? Ebenso raffiniert wie Highsmiths Roman ist die Regie von Bastian Kraft, der bereits in Zürich, Salzburg, Wien und Hamburg inszenierte. Endlich einmal wieder jemand, der Sinn für intelligente szenischen Lösungen besitzt, das Artifizielle des Theaters ausspielt. Denn außer mittlerweile seltenen Gastregiearbeiten von Michael Thalheimer und denen des jetzt verstorbenen Dimiter Gotscheff herrscht am DT gerade jene Langeweile, wie sie wohlbekannte Durchschnittlichkeit verbreitet.

Nein, brav den Roman nacherzählt, wie bereits einige Kritiker meinten, hat Kraft diesen »Mr. Ripley« keineswegs. Er findet eine eigene Bildsprache, die ins Zentrum der Frage führt: Auf welche Identität kann man noch bauen? Ab wann ist der eifrige Aufsteiger ein skrupelloser Verbrecher? Ripley lebt seinen eigenen Roman, den er aus Bequemlichkeit (nicht aus Mangel an Talent) unfähig zu schreiben ist. Das gibt der Geschichte einen ganz unerwarteten Zugang, eine visuelle Kraft, die zu faszinieren vermag.

Nächste Vorstellung: 27.10.

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