Plötzlich staatenlos im Geburtsland

Nationalisten feiern Urteil in Santo Domingo / Menschenrechtler wollen vor internationalem Gericht klagen

  • Hans-Ulrich Dillmann, 
Santo Domingo
  • Lesedauer: 3 Min.
Juliana Dequis-Pierre, Tochter haitianischer Einwanderer, wurde von einem Tag auf den anderen die dominikanische Staatsbürgerschaft aberkannt.

Plötzlich war Juliana Dequis Pierre staatenlos. Der 29-jährigen Frau wurde am 23. September 2013 vom Obersten Verfassungsgericht die dominikanische Staatsbürgerschaft aberkannt, weil sich ihr Vater illegal im Land aufgehalten habe, urteilte das Tribunal Constitucional. »Wie kann so etwas sein?«, fragt sie. »Ich hatte doch eine dominikanische Geburtsurkunde? Meine Vater hatte mich nach der Geburt offiziell registrieren lassen.«

Rechtsgrundlage dafür war damals das »ius soli«, das Recht des Bodens. Nach diesem Verfassungspassus hatte jeder, der auf dominikanischem Territorium geboren wurde, einen Anspruch auf die Staatsbürgerschaft - ausgenommen Kinder von Diplomaten oder Personen »im Transit«. Dieses Gesetz wurde jedoch im Jahre 2010 modifiziert. Seitdem gelten haitianische Arbeitsmigranten ohne Aufenthaltsgenehmigung als Illegale - und Pierres Vater habe keine besessen, urteilten die Richter und wandten das neue Gesetz auch rückwirkend an.

Der Fall der 29-jährigen Mutter von vier Kindern sorgt seither für hitzige Diskussionen in der Dominikanischen Republik. Nationalisten feiern die Entscheidung des Verfassungsgerichts als Sieg der »nationalen Souveränität«. Amnesty International, die Interamerikanische Kommission für Menschenrechte (CIDH) und andere Organisationen kritisieren dagegen die Entscheidung, die »rückwirkend von 1929 bis 2010« angewandt werde. »Dadurch würden Zehntausende in der Dominikanischen Republik geborene Personen ihre dominikanische Staatsbürgerschaft verlieren«, das sei eine »Verletzung der internationalen Verpflichtungen« des Landes, urteilt die CIDH scharf.

Der Weg Juliane Dequis Pierres durch die juristischen Instanzen begann vor elf Jahren, als sie mit 18 Jahren einen Personalausweis beantragte. Auf dem Standesamt wurde ihr kurzerhand das Original der Geburtsurkunde weggenommen, die Ausstellung eines Ausweises verweigert.

»Das Vorgehen war illegal«, urteilt der Anwalt Genardo Rincón von der Rechtsberatung der Sozial-kulturellen Bewegung haitianischer Arbeiter in der Dominikanischen Republik Deshalb verklagte er den dominikanischen Staat vor dem Verfassungsgericht. »Es gibt keinen Zweifel an der dominikanischen Nationalität«, erläutert Rincón.

»Das Urteil«, befürchtet Rincón, wird Konsequenzen für mindestens eine Viertelmillion haitianisch-stämmige Bewohner der Dominikanischen Republik haben. Denn inzwischen hat die Oberste Wahlbehörde, die das standesamtliche Register des Landes führt, alle Büros angewiesen, ihre Register zu durchforsten »und verdächtige Fälle« der vorgesetzten Behörde zu melden.

Der Vater von Juliane Dequis Pierre kam 1970 im Alter von 15 Jahren mit einer Arbeitserlaubnis aus Haiti in den Osten der Insel ins Batey Los Hobillo de Yamasá, um auf den Zuckerrohrfeldern die süßen Stangen für wenig Geld im Akkord zu schlagen. Er ist nie mehr ins Land seiner Eltern zurückgekehrt. Seine jetzt »staatenlose« Tochter spricht Kreyól nur mangelhaft, wie sie erzählt. »In Haiti war ich noch nie. Wir haben keine Verwandten mehr dort. Sie sind alle hier im Land oder gestorben.«

Das Gericht hat Dequis Pierre die Möglichkeit eingeräumt, eine ordentliche Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Ansonsten stellt sich der dominikanische Staat stur. »Vielleicht besteht ja noch Hoffnung«, sagt Rincón. Staatspräsident Danilo Medina habe eine »menschliche Lösung« versprochen. Trotzdem werde er mit seinem Anwaltskollegen den »Fall Juliana Dequis Pierre gegen die Dominikanische Republik« vor den Interamerikanischen Menschengerichtshof in San José, Costa Rica, bringen. »Dort hat die Dominikanische Republik mehrere Fälle wegen Verweigerung der Staatsbürgerschaft verloren«, sagt Genardo Rincón.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -