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  • Politik
  • Deutschland einig Rundfunkland? - Bemerkungen zu einer brisanten Neuerscheinung

Wenn Sieger Geschichte schreiben

  • Ingrid Pietrzynski
  • Lesedauer: 3 Min.

Zehn Jahre nach der deutschen Vereinigung erscheint ein Buch, das an die Abwicklung von DDR-Hörfunk und -Fernsehen 1990/91 erinnert. Der Band, der dem 1990 von der Bundesregierung eingesetzten Rundfunkbeauftragten Rudolf Mühlfenzl gewidmet ist, vereinigt Beiträge von Zeitzeugen aus Politik und Medien.

Die überwiegend aus dem Westen stammenden Autoren waren Akteure der Abwicklungsprozesse, die sie als gelungene Transaktion des zentralistischen Staatsrundfunks der DDR in ein demokratisches, föderales Rundfunksystem beschreiben. Dabei auftretende Probleme werden als den komplizierten politischen und finanziellen Bedingungen und dem Widerstand der alten SED-Elite geschuldete Übergangserscheinungen geschildert. In einer solchen Darstellungsweise haben Überlegungen darüber, welche Versäumnisse diese Prozesse begleiteten, ob andere Vorgehensweisen angebracht gewesen wären oder auch die Möglichkeit bestanden hätte, gleichzeitig das alte bundesdeutsche Mediensystem zu reformieren, naturgemäß keinen Platz. So scheint bei den meisten Autoren die etwas rühr selige Erinnerung auf, an herausragender Stelle an wesentlichen medienpolitischen Entscheidungen beteiligt gewesen zu sein.

Am unverblümtesten erfährt der Leser die Siegerperspektive in den Darstellungen des Herausgebers Roland Tichy, der 1990/91 Mitarbeiter des Rundfunkbeauftragten Mühlfenzl gewesen ist. Seine im Bild-Zeitungs-Stil verfassten Ausführungen enthalten eine personenkultige Hommage auf Mühlfenzl, dessen Kriegserfahrungen als Artilleriebeobachter «kaltblütigen Mut» zeitigten, der ihm bei den «ständigen Einschlägen» während der Abwicklung zu Gute gekommen sei. Dessen tägliche Arbeit habe bis Dezember 1991 darin bestanden, trotz aller Hinder nisse die Sendetätigkeit irgendwie fortzuführen.

Die Frage, was die durch mehrere Entlassungswellen reduzierten Programmmitarbeiter in dieser Zeit gemacht haben, bleibt unbeantwortet, sie tauchen bei Tichy nur als Verhandlungsmasse und als Widerstand leistende SED-Eliten auf. Auch die öffentlichen Proteste und die vielen Auseinandersetzungen in den Rundfunkhäusern gegen die Art und Weise des von Mühlfenzl durchgesetzten Abwicklungsszenarios, die ständigen Inter ventionen von Personalräten, Gewerk Schäften und Hör und Fernsehrat finden nur allgemein als Abwertung der Leistungen des .Rundfunkbeauftragten Erwähnung, als «zweite deutsche Dolchstoßlegende von links.»

Christoph Singeinstein und Michael Albrecht, 1990/91 geschäftsführende Intendanten von DDR-Hörfunk und -Fernsehen, berichten über die Entwicklungen bis zur Inthronisation des Rundfunkbeauftragten, wobei ihre Erfahrungen in der Zusammenarbeit mit Mühlfenzl ausgespart bleiben. Beiden aus der Bürgerbewegung der DDR stammenden Akteuren bescheinigt Herausgeber Tichy Gutwilligkeit, aber gleichzeitig Überforderung als mit «malerischen Struppelbärten» ausgestatteten Radio-Solschenyzins.

Der Dokumentenanhang (über die Hälfte des Buches) druckt konsequenter weise nur bundesdeutsche Dokumente bzw. Papiere des Rundfunkbeauftragten und seines Beraterstabes ab. Immerhin werden solche Dokumente, die eigentlich laut Bundesarchivgesetz erst 2021 veröffentlicht werden dürften, hier erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Diese Dokumente ergänzen die Ausführungen des Herausgebers Tichy auf her vorragende Weise, sie geben Einblicke in die generalstabsmäßig und zentralistisch durchgeführte Abwicklung elektronischer Medien.

Roland Tichy/Sylvia Dieth Deutschland einig Rundfunkland? Eine Dokumentation des deutschen Rundfunksystems 1989- 1991. Verlag Reinhard Fischer.München 2000. 390 S., geb.. 49,90 DM.

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