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  • Politik
  • Strindbergs »Fräulein Julie« am DT

Hausbackene Hasser

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 3 Min.

Männer und Frauen passen nicht zueinander. Das ist bekannt. Das Bekannte noch einmal sagen, und keiner bemerkt das Recycling, das ist die Kunst. Das geht nur mit gehörigem Witz. Wroody Allen etwa ist ein wieder geborener August Strindberg.

Leider will Regisseur Götz Schubert den Ur Strindberg. Geschlechterkampf bitter ernst, bis zum Exitus. Vielleicht eine gute Lektüre für den Gesprächskreis emanzipationsgeschädigter Männer. Aber auch etwas für die Kammerspiele des Deutschen Theaters? Insofern ja, als «Fräulein Julie» ein echtes dramatisches Kammer stück für drei Personen mit markigen Dialogen ist: Es ist eine Situation wie bei Hegel in «Herr und Knecht». Die Knechte sind immer die wahren Herren, weil sie zur Aktivität gezwungen sind. Die Herren bleiben passiv und werden daran dumm, sind also ihren Dienern de facto unterlegen. Nur wissen sie das erst, wenn sich ihre Diener plötzlich als neue Herren ausrufen - um dann irgendwann das gleiche Schicksal wie die alten Herren zu erleiden.

Mit Strindberg erobert die Herr Knecht-Dialektik die gutbürgerlichen Betten. Auch hier ist der Herr des Hauses zur Zeit der erotisierenden Mittsommer nacht nicht zu Hause; die herrschaftliche Tochter versucht ihre Langeweile mittels Verführung des Dieners zu kurieren, nicht ahnend, welche Bestie (den Mann!) sie da im Diener weckt.

Das Stück hat zwei Drehpunkte. Der erste: Alles kehrt sich um, als das Fräulein Julie (Victoria Voss) ihre nicht gerade subtile Verführung (eher Nötigung) vollendet hat. Nun ist für den Diener Jean seine Her rin Julie nur ein weiteres minder begabtes Weib mehr, das durch sein Bett ging. Entsprechend behandelt er sie. Wir erfahren indirekt vom Vollzug dessen, auf das es hier hinauslief. Alles im Auftreten der beiden ist nun anders. Soll zumindest. Aber der Zuschauer braucht viel zu lange, um überhaupt zu bemerken, dass es jetzt wohl passiert ist. Julie frisst wie besinnungslos ein Knäckebrot nach dem anderen in sich hinein. Diese Leistung von Victoria Voss war ihre bei weitem expressivste Tat des Abends.

Der zweite - hier ebenfalls verpasste - Drehpunkt: Julie steht mit Jean zur Flucht entschlossen vor der Tür. Sie hält den Käfig mit ihrem Zeisig in der Hand, der Diener nimmt den lästigen Vogel und schneidet ihm den Kopf ab. Jetzt hasst sie ihn abgründig. Denkt man sich, denn zu sehen ist weiter nichts.

Auch Franziska Hayner als Köchin Kristin wirkt befremdlich beliebig. Einzig Robert Gallinowski als Diener Jean ver sucht, die Psychologie differenziert auszuspielen. Aber er agiert, mangels mitdenkender Mitspieler, im leeren Raum. Letztlich ist das die Schuld des Regisseurs, der völlig verkennt, dass da gar nicht reale Personen handeln, sondern verschiedene (geschlechts)spezifische Bewusstseine aufeinander prallen.

Der Schluss: Bei Strindberg nimmt Julie das Messer, das ihr der Diener Jean in deutlicher Absicht hinlegte, und geht damit hinaus. Hier aber sitzt sie am Küchentisch und schnitzt anstandslos an den Handgelenken herum. Als wollte sie Kar toffeln schälen. Sehr hausbacken.

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