Die Kehrtwende des Justizministers

In Bayern werden Flüchtlinge künftig nicht mehr in Justizvollzugsanstalten inhaftiert

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.
Eine EU-Richtlinie schreibt vor, dass Abschiebehäftlinge nicht in normalen Gefängnissen untergebracht werden dürfen. Für Bayern ergab sich Handlungsbedarf.

Bayern will sich noch in diesem Monat einen Abschiebeknast leisten. Für diesen Zweck wird derzeit eine Justizvollzugsanstalt (JVA) in Mühldorf am Inn geräumt. Dort sollen in Zukunft ausschließlich Abschiebegefangene untergebracht werden.

»Es ist ein großer Erfolg unserer Arbeit, dass jetzt in Bayern Abschiebegefangene nicht mehr gemeinsam mit Strafgefangenen inhaftiert werden«, erklärte am Mittwoch Heiko Habbe vom Jesuiten-Flüchtlingsdienst in Berlin. »Aber es ist nur ein Teilerfolg. Wir fordern die Politik auf, über Alternativen zur Abschiebehaft nachzudenken.« Zwischen 60 und 80 Prozent der Abschiebegefangenen bundesweit seien keine Ausländer, die sich ihrer Abschiebung durch Untertauchen unterziehen, sondern Asylsuchende, die erstmals deutschen Boden betreten haben.

Bevor sie Asyl beantragen konnten, kamen sie in eine Personenkontrolle der Bundespolizei und müssen jetzt ihr Asylverfahren aus der Haft heraus betreiben. »Oftmals wissen sie gar nicht, warum sie inhaftiert sind. Ich höre immer wieder von Inhaftierten, sie hätten doch gar nichts getan«, sagt der Jesuitenpater Ludger Hillebrand, der als Seelsorger in der Abschiebehaft arbeitet. Und er fügt hinzu: »Diese Menschen gehören nicht in Haft, denn Flucht ist kein Verbrechen.«

»Mit der Bekanntgabe, die Abschiebehaft in JVAen aufzugeben, hat Bayerns CSU-Justizminister Winfried Bausback innerhalb von nur drei Tagen eine Kehrtwende um 180 Grad vollführt«, resümiert Heiko Habbe. »Noch letzte Woche hätte er erklärt, da bestünde kein Handlungsbedarf.«

Hintergrund ist eine seit 2011 gültige EU-Richtlinie. Demnach dürfen Abschiebehäftlinge nicht mehr in normalen Gefängnissen inhaftiert werden, es sei denn ein EU-Mitgliedsstaat verfügt nicht über Abschiebegewahrsame. In Deutschland werden jedoch mit Ausnahme der Bundesländer Berlin, Brandenburg und Rheinland-Pfalz Abschiebegefangene ausschließlich oder teilweise in Justizvollzugsanstalten inhaftiert - neben Strafgefangenen.

Heiko Habbe erklärt: »Deutschland hat versucht, die EU-Richtlinie umzuinterpretieren, indem es die Bundesländer zu EU-Mitgliedsstaaten erklären wollte. Das akzeptierten die Gerichte nicht.« Der Jesuiten-Flüchtlingsdienst hat für 65 Abschiebegefangene in Bayern Haftbeschwerde wegen des Verstoßes gegen EU-Recht eingelegt. 40 von ihnen kamen sofort frei. 18 Verfahren laufen noch. Die anderen wurden abgeschoben.

Der katholische Orden fordert jetzt die anderen Bundesländer auf, dem Beispiel Bayerns zu folgen und die Inhaftierung von Abschiebegefangenen mit Strafgefangenen sofort zu beenden. Denn das würde Menschen, die nichts anderes getan haben als zu fliehen, stigmatisieren. In Sachsen haben bereits zwei Landgerichte mehreren Abschiebegefangenen wegen eines Verstoßes gegen EU-Recht die Freiheit geschenkt. Beobachtungen des Jesuiten-Flüchtlingsdienstes zufolge versucht Sachsen seitdem, Abschiebegefangene in Berlin unterzubringen. Das sächsische Innenministerium dementiert hingegen einen Zusammenhang zwischen der Inhaftierung in Berlin und der sächsischen Rechtssprechung.

Heiko Habbe schätzt ein: »Ich gehe davon aus, dass sich in Kürze auch in Niedersachsen Anwälte diesem Thema annehmen und damit die Landesregierung in Zugzwang bringen.«

Für die Betroffenen bringe der Abschiebeknast Vorteile gegenüber einem Gefängnis. So darf man im Abschiebeknast in Berlin täglich Besuch empfangen, in der JVA München indessen nur vier Stunden pro Monat. Im Abschiebeknast sei überdies die Benutzung eines Handys erlaubt, mit dem es den Inhaftierten möglich sei, soziale Kontakte aufrecht zu erhalten und zu pflegen. Des Weiteren könnten die Insassen selbst Essen kochen und die Hafträume jederzeit verlassen, um im Gebäude Tischtennis zu spielen oder sich Lektüre zu holen - oder einfach nur mit Polizisten oder Mitgefangenen zu sprechen.

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