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Wie die Menschen einst lebten
Colin McEvedy stellt legendäre Städte der Antike vor
Schlägt man dieses Buch auf, und man sollte es unbedingt tun, wird sofort klar, dass hier ein einmaliges Lexikon geboten wird, das über 120 alphabetisch geordnete Städte des Altertums informiert: von Alexandria in Ägypten, Athen und Augsburg über Carnuntum in Österreich, Edirne in der Türkei, Kyrene in Libyen bis Tarent in Italien, Xanten und York in England. Freilich, es handelt sich hier um eine Auswahl. Vollständigkeit war nicht angestrebt. Der Autor hätte sonst ein mehrbändiges Werk verfassen müssen. Dennoch vermisst man einige antike Orte, die wichtig genug gewesen wären, in die Liste der 120 aufgenommen zu werden bzw. sie zu ergänzen.
Wenn der (2005 verstorbene) McEvedy Ratiaria im heutigen Bulgarien nennt, die Hauptstadt der spätrömischen Provinz Dacia Ripensis, die 586 u.Z. endgültig unterging, fragt man sich, warum das viel bedeutendere Serdica, das heutige Sofia, fehlt. Außerdem scheint bei ihm der antike Erdkreis an der westlichen Schwarzmeerküste zu enden. Keine einzige griechische Polis an den nördlichen, östlichen und südlichen Gestaden des Schwarzen Meeres wird erwähnt, weder Olbia im Mündungsgebiet von Bug und Dnjepr noch Chersonesos (Sewastopol) auf der Krim oder Trapezus (Trapezunt, Trabzon) und Sinope an der Südküste. Ein wenig erstaunt auch, dass bei den klassischen Quellen zu Alexandria in Ägypten der Geograph Strabon (63/63 v. u. Z. - 20 u. Z.) vergessen wurde.
Diese kritischen Anmerkungen treten jedoch in den Hintergrund angesichts der akademisch-schriftstellerischen Leistung, die dieses Buch birgt. Es gibt dem Leser zu einer Vielzahl antiker Orte komprimiert Auskunft. Zu jeder Stadt finden sich Angaben zu ihrer Geschichte, Topographie und Bevölkerung, wobei die Einwohnerzahlen von McEvedy meist selbst geschätzt wurden, durchaus maßvoll, ausgehend von einer Kombination schriftlicher und archäologischer Quellen. Er folgte dem Vernunftprinzip, hielt sich an das Vorstellbare und vermied so unvernünftig hohe Schätzungen zur Bevölkerungsdichte in den Städten des Altertums. Den Ortsbeschreibungen fügte er selbst erarbeitete und gezeichnete Karten bei, womit er etwas lexikalisch Einmaliges schuf, denn solche »Stadtpläne« sind nicht allzu häufig.
Seinem Buch zugute kam, dass McEvedy die meisten der von ihm vorgestellten Städte selbst bereist und er vor Ort topographische Messungen vorgenommen hat. Natürlich sind die Mitteilungen, die er über antike Städte macht, unterschiedlich umfangreich, was der jeweiligen Überlieferung respektive Quellenlage geschuldet ist. Über Alexandria, Kyrene oder Ephesos (Türkei) ist in der Antike mehr berichtet worden, als beispielsweise über Ratiaria oder Ovilava (Österreich). Auch waren die archäologischen Grabungen unterschiedlich intensiv. Folglich umfassen die Ausführungen zu Rom oder Konstantinopel mehrere Seiten, während über Ratiaria oder Perge (Türkei) nur kurz referiert wird.
Alles in allem ist dieses Städte-Lexikon ein gewichtiger Wissensspeicher, jedem Altertumsfreund und namentlich jedem Türkeireisenden zur Lektüre bzw. Befragung frei heraus zu empfehlen. Übrigens: Die Nutzung dieses Lexikons ist weniger zeitaufwendig als die Internetrecherche. Die Informationen fließen reichlicher und sind sicherer.
Colin McEvedy:
Städte der klassischen Welt. 120 Zentren der Antike von Alexandria bis Xanten. Klett-Cotta. 537 S.,
geb., 29,95 €.
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