Profit aus der Mitte
Das nächste Europaparlament könnte neben einer neuen Rechtsallianz auch mehr Sitze für die Linksfraktion bereithalten
Es klingt zunächst schizophren, ist aber entsprechend der Entwicklungen in EU-Europa in den letzten Jahren logisch: Wenn die Wahl des achten Europäischen Parlaments Ende Mai gelaufen ist, könnten die Verlierer nicht nur in einem politischen Lager auszumachen sein. Gemessen an jüngsten Wahlergebnissen und Umfragewerten in den 28 EU-Mitgliedsstaaten würde vor allem die Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) einige ihrer derzeit 275 Sitze verlieren. Die Konservativen sorgen sich vor allem um die aktuelle Schwäche ihrer Parteien in Frankreich, Polen und Großbritannien. Im Gegensatz zu 2009 regieren sie in diesen Ländern, die aufgrund ihrer Bevölkerungsgröße viele Sitze im EU-Parlament haben, entweder nicht mehr mit oder stehen in Umfragen schlecht da.
Davon könnten die Sozialdemokraten, die in Straßburg und Brüssel in der Fraktion der Progressiven Allianz der Sozialisten & Demokraten im Europäischen Parlament (S&D) zusammenarbeiten, profitieren.
Zudem schwächeln die Grünen und die Liberalen nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa. Es wird davon ausgegangen, dass ein Teil ihrer Plätze von der extremen Rechten, aber auch von mehr linken Abgeordneten eingenommen werden könnte. Der Konföderalen Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken/Nordische Grüne Linke (GUE/NGL) wird laut dem Internetportal »EurActiv« und »Der Standard«, die sich auf in Brüsseler Politikkreisen kursierende Papiere berufen, ein Anwachsen von derzeit 35 auf über 50 Sitze prognostiziert. Gegenüber der letzten Europawahl würde vor allem die Entwicklung des griechischen Linksbündnisses Syriza für einen Zuwachs sorgen.
Je nachdem, ob die in Italien von Beppe Grillo angeführte »Bewegung der Fünf Sterne« sich der GUE/NGL anschließt, könnte sie sogar drittstärkste Fraktion werden. Dies wird zuallererst jedoch vom Wahlergebnis für die extreme Rechte abhängen und ob es Führungsfiguren wie Marine Le Pen von der französischen Front National sowie Geert Wilders (Partei für die Freiheit, Niederlande) gelingt, aus ihrer in den letzten Wochen zusammengesammelten Allianz der Willigen eine Fraktion zu bilden. Dafür brauchen sie 25 Abgeordnete aus mindestens sieben EU-Ländern.
Gerade wegen dieser Gefahr von Rechtsaußen scheint sich die Linke in Europa mit ihrem möglichen Wahlerfolg noch nicht brüsten zu wollen. Alexis Tsipras, Syriza-Vorsitzender und Bewerber um die Spitzenkandidatur der Europäischen Linken (EL), bezeichnete zwar in einem am Dienstag bei »EurActiv« veröffentlichten Interview die Linke als »einzige alternative politische Kraft des Wandels in Europa«. Gleichzeitig müsse sie die Menschen vor allem vor der Falle des Nationalismus warnen.
Die EL wird Mitte Dezember in Madrid bei ihrem vierten Kongress mit Delegierten ihrer 27 Mitglieds- und elf Beobachterparteien über ihre Zukunft, aber auch über den anstehenden Wahlkampf debattieren. Nach Jahren abnehmender Europabegeisterung bei den Bürgern und einigen Politikern könnte ein erfolgreicher Wahlausgang die 2004 gegründete Partei wieder beflügeln.
Entscheidend dafür könnte auch die Wahlbeteiligung werden. Nach Erkenntnissen von Meinungsforschungsinstituten dürfte sie in mehreren Ländern zulegen, wohl auch wegen gleichzeitig stattfindender Kommunalwahlen.
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