Sitting Bull mit Ahnen aus Europa?
Genetische Untersuchungen werfen neues Licht auf Abstammungsgeschichte der Indianer
Indianerfreunde können beruhigt aufatmen: Die Helden indianischer Geschichte waren keine verkappten Europäer. Die anerkannte wissenschaftliche Theorie, dass die Vorfahren der Indianer vor 12 000 bis 15 000 Jahren über die Bering-Landbrücke nach Amerika einwanderten, wird auch von neueren genetischen Untersuchungen nicht angefochten. Die allerdings werfen neues Licht auf die Herkunft jener Asiaten, die den Weg auf den neuen Kontinent suchten.
Bereits vor rund 90 Jahren fand man in Mal’ta nahe dem Baikalsee ein 24 000 Jahre altes Kinderskelett. Das lange wenig beachtete Objekt im St. Petersburger Ermitage-Museum weckte nun das Interesse von Genetikern. Da so alte Skelettfunde aus Sibirien äußerst selten sind und die Gentechnologie jüngst rasante Fortschritte gemacht hat, lag es nahe, eine Probe zu entnehmen, um das genetische Profil mit den Genomen anderer Menschengruppen zu vergleichen. Ein erfahrenes Wissenschaftlerteam um Eske Willerslev von der Universität Kopenhagen kam dabei zu überraschenden Ergebnissen: Das Kind zeigte enge genetische Verwandtschaft mit modernen Europäern und Indianern. Das Erbgut des Kindes gleicht zu etwa einem Drittel heutigen Indianern, während der übrige Teil bei Europäern zu finden ist.
Das legt den Schluss nahe, dass das Kind Nachfahr euroasiatischer Steinzeitjäger war. Heute in Ostasien typische Gene fanden sich nicht. Ein ähnliches genetisches Profil wie der Junge von Mal’ta zeigte das ebenfalls analysierte Genom eines weiteren, vor 17 000 Jahre gestorbenen Sibiriers. Die neuen genetischen Untersuchungen würden auch andere Funde besser erklären. Der berühmteste davon ist der sogenannte Kennewick-Mann, dessen Überreste 1996 gefunden wurden. Seine Gesichtszüge werden als europäisch beschrieben, was sowohl in Fachkreisen wie bei modernen Indianern entweder einfach zurückgewiesen oder als zufällig erklärt wird. Allerdings liegen zwischen dem Kennewick-Mann und dem Mal’ta-Kind immerhin 16 000 Jahre.
Das Vorhandensein ostasiatischer Gene in heutigem indianischen Erbmaterial erklärt die Willerslev-Gruppe mit späterem Einfluss. Die Nachfahren der Mal’ta-Gruppe kamen bei der weiteren Wanderung nach Osten offenbar in Berührung mit Trägern ostasiatischer Gene. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangte im Übrigen im Vorjahr eine Bostoner Forschergruppe unter Leitung von David Reich von der Harvard University (USA). Diese hatte eine vergleichende Studie des Erbmaterials von Menschengruppen angestellt, die über den ganzen Erdball verstreut leben.
Neues Licht auf die Abstammungsgeschichte der Indianer kann vielleicht auch die derzeit noch laufende Untersuchung des Genoms des Dakotahäuptlings Sitting Bull an Willerslevs Kopenhagener Institut werfen. Hier wird man mittels statistischer Methoden den Weg zurückgehen, den das Erbmaterial über verschiedene Mutationen genommen hat. Mit diesem unverfälschten Schnappschuss indianischen Erbgutes als Ausgangspunkt hätten weitere Untersuchungen der Verzweigungen im Stammbaum eine bessere Grundlage.
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