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Menschenjäger
Im Kino: »Houston« von Bastian Günther
Clemens Trunschka ist Jäger, Clemens Trunschka jagt Menschen. Denn Trunschka ist Headhunter, einer, der hochrangiges Management-Personal bei der einen Firma abwirbt, um es bei einer anderen unterzubringen. Gegen viel Geld für den Manager selbstredend, aber auch viel Geld für Clemens Trunschka. Und Trunschka ist Alkoholiker. Vielleicht trinkt er, weil er seinen Job nicht mehr erträgt, vielleicht auch aus ganz anderen Gründen. Noch jedenfalls haben die Kunden keine Ahnung, die Firmen, die Trunschka dafür bezahlen, dass er ihnen frisches Führungspersonal an Land zieht. Nur seine Frau (Jenny Schily) zuckt jedes Mal zusammen, wenn sie von weitem schon die ausholenden Armbewegungen ausmacht, die Trunschkas Unterhaltungsstil prägen, wenn er auf einer Party mal wieder zu viel getrunken hat. Bei ihr ist der Zusammenbruch nahe: Resignation, Enttäuschung, Überlebenswille werden sie irgendwann absehbar in Richtung Scheidung treiben. Beruflich aber funktioniert Trunschka gerade noch so gut, dass der größte Auftrag seiner Karriere eben erst ins Haus steht.
Für einen deutschen Autokonzern soll Trunschka einem texanischen Ölmulti einen Manager abjagen. Ein schwieriger Auftrag, weil der Mann stets sorgfältig abgeschirmt seinen Geschäften nachgeht. Ein erster und dann auch der zweite Kontaktversuch während einer Konferenz auf deutschem Boden schlagen fehl - zu engmaschig das Netz aus Bodyguards und persönlicher Entourage. Also rückt der deutsche Auftraggeber Flugtickets raus, bucht Trunschka ein Hotelzimmer in der Ölstadt Houston und erwartet von seinem Headhunter, dass der nun schnellstmöglich auf fremdem Boden das erledigt, was ihm auf eigenem Territorium nicht gelang. Trunschkas Frau hat vor allem einen Wunsch: dass der sich ein bisschen mehr um seinen Sohn kümmern möge, für den die Schule ein besonderes Förderprogramm empfahl. Um ihn dort einzugliedern, müssten beide Elternteile ein Formular unterschreiben. Trunschka aber hat längst jeden wirklichen Kontakt zum Leben seiner Familie verloren und vergisst die Unterschrift, bevor er abfliegt. So wie er überhaupt die Welt meist als irritierendes Lichtbündel und gerahmt durch irgendwelche Fenster wahrnimmt - die Fenster diverser Autos und Mietwagen, anonymer Hotelzimmer und Bürosuiten, von Konferenzgebäuden und Langstreckenfliegern.
Dass der Beruf des Headhunters tatsächlich der eines Jägers ist, der seiner Beute nachstellt, und dies gegebenenfalls mit unfeinen Methoden, daran lässt Regisseur und Drehbuchautor Bastian Günther keinen Zweifel. Trunschka hat für jede Situation die passende Geräuschkulisse parat und scheut auch nicht davor zurück, sich als Angestellter der Firma auszugeben, der er den Manager abjagen will. Wenn es darum geht, sich telefonisch an die Zielperson heranzupirschen - denn ein vertraulicher Termin muss her, ein Ort, wo man allein und unbeobachtet konferieren kann, ohne dass die bejagte Firma davon Wind bekommt -, legt Trunschka im Mietwagen eine CD ein, die die Lautsprecheransagen eines internationalen Flughafens simuliert, und erfindet dringende Fragen zu drängenden Vertragsabschlüssen, die unbedingt noch vor Abflug der Vertragspartner und natürlich nur mit Mr. Ringer persönlich abzuklären seien. Als die Finte an der eisernen Firmenregel scheitert, die ein Durchstellen Dritter auf die Nebenstelle des Managers leider komplett verbietet, versucht Trunschka es auf anderen Wegen. Und wühlt schon mal in Ringers Müll.
Nur dass die Zeit ihm wegläuft und die Morgensonne blendet, die ihren Weg durch Houstons seelenlose Häuserschluchten bis in Trunschkas Zimmer findet, wo der Inhalt der Minibar als Glasmüll auf Entsorgung wartet. Eine Zufallsbekanntschaft von der Hotelbar dagegen erweist sich als unerwartet hilfreicher Lichtblick in Trunschkas Taumeln zwischen sonnenbestrahlten beruflichen Fehlschlagen und neonbeleuchteter nächtlicher Trunksucht. Weil dieser Wagner (Garrett Dillahunt) ebenso einsam im Hotel rumhängt wie Trunschka selbst - er testet die Hotels der Kette und ihr Personal auf Qualität, ist stets allein unterwegs und Heim und Familie daher ebenso entfremdet, drängt er sich Trunschka als Begleiter auf. Der aber steckt so sehr im eigenen Brummschädel fest, dass er den Mann erst nur als anbiedernde Nervensäge wahrnimmt. Wagner aber kennt sich aus in der Stadt und unter Menschen, die an den Bars dieser Art von Business-Hotels verkehren. Seine Informationen bringen Trunschka dem Objekt seiner Reise tatsächlich einen Schritt näher - was dem allerdings eher schlecht bekommt.
Sein Regisseur aber hängt ein hoffnungsvolles Ende an die potenziell lebensgefährliche Konfrontation und erlaubt seinem Anti-Helden in Hemd und Anzug am Ende doch noch einen Gang durch’s wilde Houston, ganz ohne Fensterglas und Fensterrahmung.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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