Der Mann, der Israel prägte

Ariel Scharon ist gestorben, doch verloren hat ihn das Land bereits vor acht Jahren. Ein Nachruf

  • Oliver Everhardt, Jerusalem
  • Lesedauer: 5 Min.

Ariel Scharon ist gestorben, doch verloren hat ihn Israel bereits vor acht Jahren: Anfang 2006 hatte der 1928 als Ariel Scheinermann im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina geborene Ex-General und Politiker, am Vorabend einer geplanten Operation, starke, durch einen Schlaganfall verursachte Hirnblutungen erlitten, und war kurz darauf in ein Koma gefallen, aus dem er nie wieder erwachen sollten.

Mit seiner Erkrankung war, von einem Tag auf den anderen, eine der prägendsten, aber auch kontroversesten Persönlichkeiten aus dem öffentlichen Leben des Landes verschwunden; seinen Platz nahmen Karriere-Politiker wie Ehud Olmert und Benjamin Netanjahu ein; in der politischen Landschaft setzte eine Umgestaltung ein, die bis heute nicht abgeschlossen ist.

Denn kurz zuvor hatte Scharon den Likud-Block verlassen, knapp die Hälfte von dessen Parlamentsfraktion und die Hälfte der Abgeordneten der Arbeiterpartei mitgenommen, und seine eigene Partei Kadima gegründet, die in der politischen Mitte angeordnet sein sollte. Zweimal wurde sie nach seiner Erkrankung stärkste Fraktion im Parlament, bis sie bei den Wahlen im Januar auf gerade einmal zwei Mandate schrumpfte.

Auch wenn der Likud-Block heute mit Benjamin Netanjahu den Regierungschef stellt: Sowohl für Arbeiterpartei als auch für den Likud war die Gründung der Scharon-Partei ein Schlag gewesen, von dem sie sich bis heute nicht erholt haben. Der Likud kam bei den vergangenen Wahlen auf gerade einmal 13,37 Prozent, wenn man den Wahlbündnispartner Jisrael Beitenu heraus rechnet. Und auch die Arbeiterpartei, die bis 1977 das Land dominiert hatte, holte nur magere 11,39 Prozent der Stimmen.

Dass die Arbeiterpartei damals zuerst die Macht, und dann ihren Einfluss verlor – auch daran war Scharon maßgeblich beteiligt gewesen. Ursprünglich hatte Scharon den Sozialdemokraten nahe gestanden. Nach einer Jahrzehnte langen Karriere im Militär, die er mit dem Ruf als Kriegsheld beendet hatte, nachdem es ihm mit seinen Truppen im Jom-Kippur-Krieg gelungen war, den Suez-Kanal zu überwinden, hatte er als militärischer Berater erheblichen Einfluss auf den Beginn des Siedlungsbau in den 1967 besetzten Gebieten gehabt, der unter den Regierungschefs der Sozialdemokraten begann. Sofort nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 hatte er als Chef der militärischen Ausbildung damit begonnen, Ausbildungszentren in das Westjordanland zu verlegen, um Angriffe fürhzeitig abwehren zu können; wenig später wurden daraus dauerhaft bewohnte Siedlungen.

Doch nach der Gründung des Likud-Blocks durch Menachem Begin im Jahr 1973 wandte er sich der Neugründung zu, und hatte einen erheblichen Anteil daran, dass der Likud 1977 überraschend die Wahl gewann. Wie Scharon hatten auch viele Israelis die ständigen Skandale und Debatten über die Zukunft der besetzten Gebiete innerhalb der Arbeiterpartei satt, während sich der Likud unter Begin als Hüter des Status Quo gab: Es sei gut für die Sicherheit des Staates, dass man diese Gebiete habe, sagte Scharon damals immer wieder, und warb dafür, mehr Siedlungen zu bauen.

Dies brachte Scharon seinen Ruf als Vater der Siedlerbewegung ein; ein Titel, der ihm, wie er während eines Pressegespräches kurz vor der von ihm durchgesetzten Räumung der Siedlungen im Gazastreifen 2005 erklärte, nie genehm gewesen sei. Es sei nie seine Absicht gewesen, die Gründung einer Bewegung anzustoßen, die den Siedlungsbau in den besetzten Gebieten als religiöses Recht betrachte. Für ihn sei ausschließlich wichtig, ob es der Sicherheit Israel nutzt. Zu jenem Zeitpunkt gab er sich davon überzeugt, dass die Siedlungsbewegung zur Bedrohung für die Sicherheit des Staates geworden sei: Es koste zu viel, sie zu schützen, sowohl finanziell, als auch militärisch und diplomatisch.

Doch Scharon selbst musste sich einen großen Teil seines Lebens auch gegen den Vorwurf wehren, der Sicherheit des Landes zu schaden. Auch wenn er mal den Sozialdemokraten, mal dem Likud nahe stand, und sich beide zu jener Zeit in seinem öffentlichen Ruhm sonnten, standen ihm die politischen Gruppierungen selbst nie nahe: Man warf ihm vor, nicht hinter der Ideologie der jeweiligen Partei zu stehen, und sie nur für seine Zwecke auszunutzen.

Im Sicherheitsapparat galt er zudem als Einzelgänger, als »beratungsresistent«, wie es ein ehemaliger Geheimdienstchef nennt. So sei er davor gewarnt worden, den Tempelberg zu betreten. Er tat es im Herbst 2000 trotzdem, und löste damit Ausschreitungen in der Jerusalemer Altstadt aus, die in die zweite Intifada mündeten.

Wobei Scharon noch 2005 jede Verantwortung dafür abstritt: Die Wakf, die muslimische Verwaltung der drittwichtigsten Stätte des Islam, habe zugestimmt; es habe keine Hinweise auf eine drohende Intifada gegeben – was der damalige Regierungschef Ehud Barak anders sieht: »Ich habe ihn mit Nachdruck darum gebeten es nicht zu tun.« Aber Scharon habe dies mit den Worten abgewehrt, dies bedeute, Schwäche zu zeigen. Und die Palästinenser würden den Schwachen an der »Nase herum führen«.

Doch sein wohl größter, fatalster Alleingang lag da schon fast 20 Jahre zurück: 1982 führte er Israel als Verteidigungsminister in den Libanon-Krieg. Das offiziell kommunizierte Ziel der Operation »Frieden für Galiläa« war gewesen, die Kämpfer der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO an der Grenze zu Israel 40 Kilometer in Richtung Norden zu treiben. Doch plötzlich standen israelische Truppen vor Beirut.

Es gilt heute unter Historikern als sicher, dass Scharons Plan von Anfang an gewesen war, den Libanon zu einem Großteil zu besetzen und die Regierung in Beirut durch eine israelfreundliche Marionetten-Regierung auszutauschen. Unklar ist derweil, ob Regierungschef Begin davon wusste: Er selbst sagte später, er habe davon eines Nachts durch den Anruf eines Mitarbeiters erfahren.

Doch es war nicht vor allem dies, was Scharons Ruf sowohl im In- als auch im Ausland für lange Zeit beschädigte: Im September 1982 hatten seine Truppen zwei palästinensische Flüchtlingslager, Sabra und Schatila umstellt, und es Kämpfern christlicher Milizen erlaubt, die Lager zu betreten, obwohl zu dem Zeitpunkt bereits bekannt war, dass Gewaltakte zu befürchten waren. Die Folge war ein Massaker, dass zwischen 800 und 3500 Menschen das Leben kostete. Israels Truppen griffen nicht ein. In der Folge wurde Scharon von einem Untersuchungsausschuss auf Lebenszeit vom Amt des Verteidigungsministers ausgeschlossen.

Dass er 18 Jahre später dennoch zum Regierungschef gewählt wurde, wird vor allem der Schwäche seines Gegenkandidaten zugeschrieben. Damals wurden die Premierminister für kurze Zeit direkt gewählt. Und sein Gegenkandidat Ehud Barak, ebenfalls ein ex-Militär, hatte in einer ersten Amtszeit einen Großteil seiner politischen und öffentlichen Unterstützung verloren – mit dem Ergebnis dass er gerade einmal 37 Prozent der Stimmen bekam, wobei sehr viel mehr Menschen gar nicht zur Wahl gingen. Die Wahlbeteiligung hatte bei nur 62 Prozent gelegen.

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