»Fehlstart«: Schwarz-Rot ermahnt sich gegenseitig
Oppermann: »Wildsau« und »Gurkentruppe« sind kein gutes Drehbuch / Kauder: Erscheinungsbild der Regierung mangelhaft / Neuer Streit um Rentenpläne von
Berlin. Wenige Wochen nach ihrem Amtsantritt macht die Große Koalition auf die Wählerschaft den Eindruck beachtlicher Zerstrittenheit. Fast die Hälfte der Bundesbürger stimmte in einer Umfrage der Aussage zu, Schwarz-Rot habe einen Fehlstart hingelegt. 81 Prozent erwarten zudem, dass die Streitigkeiten auch künftig weitergehen werden. Die Liste der Konfliktthemen ist lang - und fast täglich kommen neue hinzu.
Vor diesem Hintergrund hat SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann zur Geschlossenheit ermahnt. Die neue Bundesregierung müsse »die Lehren aus der schwarz-gelben Koalition ziehen: Die wurde abgewählt, weil die Menschen die permanente Zankerei nicht mehr wollten«, sagte Oppermann dem »Spiegel«. Der Sozialdemokrat erinnerte an das erste Jahr der schwarz-gelben Koalition nach den Bundestagswahlen 2009. Damals hatten sich Union und FDP gegenseitig als »Wildsau« und »Gurkentruppe« beharkt.
Dies sei »kein Drehbuch für eine erfolgreiche Regierung«, warnte nun Oppermann. Er riet »allen Ministern in der Großen Koalition, eng zusammenzuarbeiten«. Dies kann auch als Kritik an Parteifreunden verstanden werden. So hat zum Beispiel der sozialdemokratische Justizminister Heiko Maas zunächst das vereinbarte Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung auf Eis gelegt - was auf Widerstand im CDU-geführten Innenministerium stößt. Auch der Vorstoß von Familienministerin Manuela Schwesig für einen steuerfinanzierten Lohnausgleich für eine 32-Stunden-Woche für Eltern hatte für Rumoren in der Koalition gesorgt.
Am Sonntag reagierten CDU-Politiker zudem verärgert auf die Pläne von Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) zur Finanzierung der von Schwarz-Rot geplanten Renten-Verbesserungen aus Steuermitteln. Der Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium, Steffen Kampeter (CDU), sagte der »Bild am Sonntag«, die Ministerin habe »auf die Finanzierbarkeit ihrer Vorschläge zu achten«. Rentenpolitik sei kein Wunschkonzert. »Wir werden nur das finanzieren, wozu Geld da ist«, stellte Kampeter klar. CDU-Generalsekretär Peter Tauber sagte der »Bild am Sonntag«, in den Koalitionsverhandlungen sei »klar vereinbart« worden, dass es »keine Steuererhöhungen« geben werde. »Jedes Kabinettsmitglied, das neue Vorschläge bringt, muss sagen, wie sie aus seinem eigenen Etat finanziert werden sollen«, sagte Tauber.
Nahles hatte angekündigt, dass sie die geplanten Renten-Verbesserungen ab 2018 auch über Steuermittel finanzieren will, um die Rentenbeiträge stabil zu halten. Bei den Koalitionsverhandlungen sei »klar verabredet« worden, »dass wir eine steuerliche Flankierung brauchen«. Eine Sprecherin des Finanzministeriums sagte der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung«, die Darstellung von Nahles widerspreche nicht den Absprachen in der Koalition. Das geplante Rentenpaket könne in dieser Legislaturperiode »voll aus der Rentenversicherung« finanziert werden.
Oppermann erklärte nun, er »erwarte Geschlossenheit« und mahnte, es dürfe auf Seiten der SPD nicht der Eindruck entstehen, »dass wir zugleich Regierungs- und Oppositionspartei sind«. Zuvor hatte sich auch schon Unionsfraktionschef Volker Kauder ähnlich geäußert. Das Erscheinungsbild der Großen Koalition kurz nach ihrem Start sei nicht so, wie er sich das vorstelle, sagte er im ZDF. Die Koalition solle zeigen, »dass wir eine Regierung sind, die dem Land dient«.
Kauder hatte zudem verlangt, »dass wir zunächst einmal miteinander reden und uns nicht über die Presse und Öffentlichkeit erzählen, was wir vorhaben oder was wir nicht machen. Das gehört nicht zu einem guten Arbeitsstil in einer funktionierenden Koalition«.
Regierungssprecher Thomas Seibert war mit den Worten zitiert worden, die Stimmung im Kabinett sei »gut, war kooperativ, war von einer gewissen Vorfreude auf die gemeinsame Arbeit im Jahre 2014 gekennzeichnet«. Und weiter: »Diese Vorfreude glaube ich gespürt zu haben. Es ist immer ›ne subjektive Sache. Die wurde nicht beschlossen.« Agenturen/nd
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