Polizei ohne Augenmaß
Gefahrengebiete in Hamburg sollen verboten werden
»Es gibt überhaupt keine Rechtsgrundlage für die Einrichtung eines Gefahrengebiets«, sagte Christian Ernst von der Bucerius Law School bei der Veranstaltung am Donnerstagabend. Der bemühte Paragraf 4 Absatz 2 im Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei von 2005 ist tatsächlich wenig präzise gehalten, spricht von »konkreten Lageerkenntnissen« und »Straftaten von erheblicher Bedeutung«, die in einem Gefahrengebiet begangen werden müssten. Diese dehnbaren Formulierungen seien ungenügend und gäben der Polizei zu viel Auslegungsspielraum, meinte der Jurist: »Man kann leicht den Eindruck bekommen, in Hamburg wedele der Schwanz mit dem Hund. Das liegt an einer Vorschrift, die kaum Grenzen bietet, und einer Polizei, die im Verhältnis zum Senat das Augenmaß verloren hat.«
»Wir haben einen Wandel im Sicherheitsverständnis des Staates«, ordnete Ulrike Lembke die Gefahrengebiete historisch ein: »In den letzten 15 Jahren hat sich die Polizeiarbeit dank immer größerer technischer Möglichkeiten immer mehr ins Vorfeld verlagert.« Die Junior-Professorin für öffentliches Recht stellte hierbei ein »gewisses Spannungsverhältnis zum Verfassungsrecht« fest und kritisierte, dass es im Gesetz keine klare Norm für eine Ermächtigungsgrundlage gebe, die der Polizei »steuernde und begrenzende Handlungsmaßstäbe« erteile. Dieses sei jedoch nach dem Bundesverfassungsgericht unerlässlich für eine Einschränkung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung. »Wenn ich gar nicht weiß, was die Polizei darf und was nicht«, führte Lembke aus, »dann ist es schwer, sich dagegen zu wehren.«
Die Anwältin Cornelia Ganten-Lange vertrat vor dem Verwaltungsgericht eine Mandantin, die gegen polizeiliche Maßnahmen in einem 2011 rund um den 1. Mai ausgerufenen Gefahrengebiet im Hamburger Schanzenviertel klagte. Damals nahm die Polizei in drei Tagen 84 Menschen in Gewahrsam und 53 Personen vorläufige fest, sprach zudem 64 Platzverweise und 389 Aufenthaltsverbote aus. Mit einer »verfassungsfreundlichen Auslegung der Vorschrift« ließ das Gericht den umstrittenen Paragrafen ungeschoren.
Im Vergleich zu dem über drei Stadtteile reichenden Gefahrengebiet, das am 4. Januar in der Hansestadt ausgerufen wurde, war das damalige Areal allerdings sehr klein. »Das Verwaltungsgericht hat sich damals überhaupt nicht vorstellen können, dass so ein Gefahrengebiet zeitlich unbestimmt und in eine derartige räumliche Dimension gedehnt wird«, vermutet Ganten-Lange, die sich für ihre Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht optimistisch zeigte.
Urs Tabbert von der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) bezeichnete es als »sehr wichtig, dass polizeiliches Handeln transparent ist und auf mehreren Hierarchieebenen überprüft wird«. Die ASJ bemühe sich um einen Beschluss zu Gefahrengebieten. Der von einigen der knapp 200 Anwesenden bei der Veranstaltung der Kritischen Jurastudierenden geäußerten These, Gefahrengebiete dienten »als Instrument, um Protest mit Ordnungspolitik zu kriminalisieren und zu degradieren«, wies Tabbert als »Unterstellungen weit weg von der Realität« zurück: »Es ist ein sehr kruder Vorwurf, dass die Bürger durch Gefahrengebiete drangsaliert werden sollten.«
Professorin Lembke verwies jedoch auf die polizeilichen Kontrollen und Ingewahrsamnahmen gegenüber Lampedusa-Flüchtlingen im Herbst 2013: »Das Gefahrengebiet hat eine Vorgeschichte. Spätestens seit Oktober laufen in Hamburg Polizeistrategien, die nicht geglückt sind. Dies mit einem Gefahrengebiet zu eskalieren, halte ich für politisch unklug.« Lembke forderte ein neues Gesetz: »Der bloße Verweis auf die Rechtsprechung ist politisch fatal.«
Ebenso wie die Grünen brachte die Linksfraktion einen Antrag zur Abschaffung von Gefahrengebieten in die Hamburgische Bürgerschaft ein. »Auch ohne Willkürparagrafen kann die Polizei effektiv arbeiten«, sagte die Abgeordnete Christiane Schneider: »Das Mittel der Gefahrengebiete muss endgültig ad acta gelegt werden.« Alternativ zur Abschaffung fordert die LINKE als »absolute Mindeststandards« die Formulierung »klarer und überprüfbarer Tatbestandsmerkmale« sowie die Kontrolle durch Judikative und Legislative. Danach müsste ein für bis zu 48 Stunden eingerichtetes Gefahrengebiet von einem Richter genehmigt werden, bei längerer Dauer ein Beschluss der Bürgerschaft erfolgen.
Am Samstag findet ab 13 Uhr eine Demonstration durch St. Pauli, die Schanze und Altona unter dem Titel »Ausnahmezustand stoppen! Politische Konflikte politisch lösen!« statt.
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