»Ich fahre nach Auschwitz. Küsse, Dein Heini«
Hunderte private Briefe und Fotos von Heinrich Himmler aufgetaucht / Zeitungen veröffentlichen Auszüge aus der Korrespondenz des Nazi-Führers
Von der »Banalität des Bösen« hat Hannah Arendt in ihren berühmten Aufzeichnungen über den Prozess gegen Adolf Eichmann in Jerusalem geschrieben. Sie schildert den Organisator des Holocaust darin als normalen Menschen, der sein Gewissen an eine höhere Macht abgetreten hat und bis zum Ende darauf beharrt, dass er nur seine Pflicht erfüllt habe.
Die Briefe von Heinrich Himmler an seine Frau Marga, die in Israel aufgetaucht sind und jetzt von der Zeitung »Die Welt« veröffentlich werden, geben einen anderen Einblick. Sie zeigen den Chef der SS, der Geheimen Staatspolizei und zentralen Verantwortlichen des Holocausts als Privatmann, als Ehemann und Vater. Und: Die Banalität des Bösen wird allein durch das deutlich, was Himmler verschweigt.
Heinrich Himmler gilt als einer der schlimmsten Nazi-Verbrecher. Jetzt sind offensichtlich Hunderte private Briefe an seine Frau Marga aufgetaucht. Viele zeichnete er mit »Dein Heini«, die die Tageszeitung "Die Welt" als Multimedia-Special: "Himmler - Die Handschrift des Massenmörders" auf ihrer Webseite veröffentlicht.
Kein Wort verliert er in den Briefen über die Monströsität seiner Taten, die Hölle der Konzentrationslager, die Ermordung von sechs Millionen Juden. »Ich fahre nach Auschwitz. Küsse, Dein Heini«, heißt es in einem Brief. Oder: »Ich werde in den nächsten Tagen in Lublin, Zamosch, Auschwitz, Lemberg sein und dann im neuen Quartier. Bin neugierig, ob und wann es dann mit dem Telefonieren geht. (...) Viele herzliche Grüße und Küsse! Dein Pappi!«
Wie genau die rund 700 Briefe, die lange als verschollen galten, nach Israel gelangt sind, ist unklar. Himmler hatte sich zwei Wochen nach Ende des Zweiten Weltkriegs in britischer Gefangenschaft mit einer Giftkapsel das Leben genommen. Offenbar entdeckten amerikanische Soldaten das Material damals in seinem Haus in Gmund am Tegernsee. Über Umwege gelangten die Briefe schließlich nach Israel.
Dort lagerten sie laut »Welt« lange in einem Privathaushalt in Tel Aviv, bevor sie 2007 von der Familie Lapa gekauft wurden. Deren Tochter, die Regisseurin Vanessa Lapa, wollte einen Film daraus machen und bot das Material 2011 der »Welt« zur Veröffentlichung an.
Drei Jahre wurden die Unterlagen dort ausgewertet und geprüft, wie »Welt«-Redakteur Sven Felix Kellerhoff im Deutschlandfunk berichtete. Das Bundesarchiv bestätigte schließlich die Echtheit der Dokumente: Die bereits bekannten Briefe von Himmlers Ehefrau Marga passten genau dazu.
Himmlers Briefe stammen dem Bericht zufolge aus der Zeit von 1927 bis 1945. Der Schriftwechsel belegt die Gefühllosigkeit des NS-Verbrechers, was seine Arbeit angeht, und die Gefühle, die ihn mit seiner sieben Jahre älteren Frau verbinden. Er selbst beschreibt sich in den frühen Briefen gerne als »wild«, »rau« oder »beese« (böse), die Inszenierung als harter Mann wird von seiner Frau gerne aufgegriffen (»dass ich so glücklich bin, einen so guten bösen Mann zu besitzen, der seine böse Frau so sehr liebt wie sie ihn«.)
Der Massenmord an den Juden wird nach Angaben der Zeitung komplett ausgespart, der Holocaust nirgends erwähnt. Redakteur Kellerhoff ist trotzdem davon überzeugt, dass Marga Himmler wusste, was ihr Mann tat. »Es besteht ganz offensichtlich ein völliges Einvernehmen zwischen den beiden.« Auch wenn man es nicht beweisen könne, so sei er doch überzeugt, »dass sie genug gewusst hat, um nicht mehr wissen zu wollen«.
Dass auch Marga eine glühende Antisemitin war, zeigen ihre eigenen Aufzeichnungen. »Diese Judengeschichte, wann wird das Pack uns verlassen, damit man auch seines Lebens froh wird«, schreibt sie nach den Pogromen von 1938. Später kühlen die Briefe ab; seit 1938 hat Himmler eine Geliebte, mit der er auch zwei Kinder bekommt.
Muss das Bild von Heinrich Himmler nach Auswertung der Briefe revidiert werden? Auf keinen Fall, da sind sich alle Beteiligten einig. Himmler sei ein »penibler deutscher Spießer« gewesen, sagt der Historiker Wolfgang Benz im Deutschlandfunk. Die Briefe hätten vielleicht einen Wert, wenn er sein Vorgehen reflektiert oder moralisch Rechenschaft abgelegt hätte. Aber: »Das wird er mit Sicherheit nicht getan haben und so besteht die Befürchtung, dass diese Briefe genauso banal sind, wie der Privatmann Heinrich Himmler banal gewesen ist.« dpa/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.